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Mehr Geld fürs Programm - KEF-Vorsitzender Heinz Fischer-Heidlberger besucht die AG DOK
vom 30.05.2017
Seit einigen Jahren sucht die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF) das direkte Gespräch mit Verbänden der Film- und Medienbranche. Anfang Mai sprach der langjährige Vorsitzende der KEF, Heinz Fischer-Heidlberger, nun als Ehrengast der Mitgliederversammlung der AG DOK in München.
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Der KEF-Vorsitzende hat es nicht leicht bei der AG DOK, denn alle Anwesenden leiden unter dem gleichen Problem: Die Dokumentarfilmer bekommen immer weniger ab vom öffentlich-rechtlichen Kuchen. Der unformatierte lange Dokumentarfilm ist bei ARD und ZDF zum ungeliebten Kind geworden, das meiste Geld investieren die Sender mit rund 500 Millionen Euro im Jahr in den Sport, für Dokumentation und Dokumentarfilm hingegen werden etwa 12 bis maximal 20 Millionen Euro ausgegeben, wenn man – wie es die ARD gern tut – großzügig auch Rate- und Zoodokus mit dazu rechnet.
Die Prioritäten der Sender kennt der KEF-Vorsitzende ganz genau. Zu den extrem hohen Ausgaben für Sportübertragungen hat die KEF sich bereits mehrfach kritisch geäußert. Doch er stellt gleich zu Beginn nochmals seinen Handlungsrahmen klar. Die KEF könne nur transparent darstellen, wie viel Geld für den Sport ausgegeben wird und welchen Anteil dieser beim Programm hat. Der Rest falle unter die Programmautonomie der Sender. Doch einen Pflock hat Fischer-Heidlberger mit der Transparenz gesetzt: „Natürlich sehen wir uns verpflichtet, auch im Interesse der Beitragszahler, eine größtmögliche Transparenz zu schaffen“. Das wiederum gefällt den Senderverantwortlichen oft weniger. Die Sender tun sich mit Transparenzforderungen noch immer schwer.
In einer großen Tour d´Horizon erläuterte Fischer-Heidlberger in seinem rund 90minütigen Vortrag den AG DOK-Mitgliedern den Arbeitsauftrag der KEF mit seinen rechtlichen Begrenztheiten. Die Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) sei die zentrale Aufgabe der KEF. Für die Kontrolle seien die Gremien in den Sendern und die Landesrechnungshöfe zuständig. Die KEF habe alle vier Jahre zu prüfen, ob der Rundfunkbeitrag angepasst werden muss. Es gehe also primär um die bedarfsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, so wie es der Rundfunkstaatsvertrag vorsehe. Denn der ÖRR hat eine Bestands- und Entwicklungsgarantie, sprich, er muss auch an den modernen technischen Entwicklungen partizipieren können. Das Regelwerk ist also klar, die Details hingegen schwierig. In einem ersten Schritt melden die Anstalten für vier Jahre – derzeit bis 2020 – ihren Finanzbedarf an. Die Anmeldungen basieren auf den mittelfristigen Finanzplanungen, die mit den Aufsichtsgremien der Anstalten abgestimmt werden. Die KEF prüft in einem zweiten Schritt die für die unterschiedlichen Aufwands- und Ertragsarten angemeldeten Beträge. Sie prüft auch, ob und wie die Sender in früheren Perioden gemachte Zusagen realisieren oder erklärte Selbstbindungen eingehalten haben. Die angemeldeten Rationalisierungs- und Wirtschaftlichkeitsmaßnahmen werden analysiert. Gegebenenfalls, so der KEF-Vorsitzende, führt die KEF auch selbst Sonderuntersuchungen zur Wirtschaftlichkeit in bestimmten Bereichen durch oder beauftragt externe Gutachter. Am Ende errechne sich daraus dann der Aufwand, dem die Erlöse und Erträge gegengerechnet werden. So ermittle sich der Bedarf bzw. der neue Beitrag. Bis zur Periode 2009-2012 hieß das immer – beinahe automatisch – Gebührenerhöhung
Der KEF-Vorsitzende betonte mehrfach die Unabhängigkeit seiner Kommission gegenüber der Politik. „Beitragsstabilität mag die Politik interessieren, aber uns nicht in erster Linie. Wir rechnen und machen dann Empfehlungen.“ Das wird gerade in jüngster Zeit von Senderseite oft anders dargestellt.
Doch ganz so ist es wohl auch nicht. Denn dass der Aufwand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland innerhalb einer einzigen Beitragsperiode um 3,5 Milliarden Euro gestiegen ist, ließ nicht nur bei der KEF Alarmglocken schrillen. Selbst bei moderater Fortschreibung, so errechnete die KEF im Jahr 2016, fehlen ARD und ZDF bei einer ungebrochenen Fortsetzung dieses Trends in der nächsten Beitragsperiode rund 2,8 Milliarden Euro und der Rundfunkbeitrag müsste schon bald um bis zu zwei Euro pro Monat angehoben werden, um diese Kostensteigerungen aufzufangen. Dass das politisch derzeit schwer zu vermitteln ist, ist auch dem KEF-Vorsitzenden klar.
Die Ministerpräsidenten zeigten sich durch solche Prognosen im vergangenen Jahr alarmiert und setzten im März 2016 eine Kommission ein, die Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchleuchten soll. Mit derzeit noch offenem Ausgang. Fischer-Heidlberger war wichtig zu betonen, dass die KEF in dem laufenden Prozess der Strukturreform „nicht drin sei“. Ob es wirklich so viele Hörfunkprogramme, Spartenkanäle und teure Sportübertragungen geben muss, steht für die ARD-Intendanten ganz im Gegensatz zu einigen Ministerpräsidenten allerdings nicht zur Debatte. Das Programm, so hat die ARD verlauten lassen, sei für Eingriffe von außen „absolut tabu“.
Auf der AG DOK-Mitgliederversammlung wies der KEF-Vorsitzende darauf hin, dass 2,8 Milliarden Euro nicht nur durch die Harmonisierung von Reisekostenabrechnungen oder vergleichbare Geschäftsvorgänge eingespart werden können. Auch der Begriff der „Grundversorgung“ müsse neu und zukunftsfest definiert werden. Aber: „Da prallen Welten aufeinander“.
Wie es überhaupt so weit kommen konnte, schilderte Fischer-Heidlberger mit eindrücklichen Beispielen. Denn die Wirtschaftlichkeit des Systems fällt wiederum in die Zuständigkeit der KEF. Insbesondere in der Phase zwischen 1980 und 1996 habe der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen fest angestellten Mitarbeitern eine Vorzugsversorgung bei der betrieblichen Altersvorsorge gewährt, die erheblich höher als die des öffentlichen Dienstes lag. Die Rundfunkanstalten hätten in der Folgezeit zwar Veränderungen vorgenommen. Das Problem sei aber, dass die damals eingegangenen Verpflichtungen in der Altersversorgung heute erfüllt werden müssten. Neben einer Gesetzesänderung verursachten die steigende Lebenserwartung und ausbleibende Zinseinnahmen zusätzlich erhebliche finanzielle Probleme. Geld könne eben nur einmal ausgegeben werden. Deshalb beobachte die KEF die Umschichtung von Mitteln des Programmaufwands in den Personalaufwand kritisch. Natürlich produzieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anstalten zu weiten Teilen das gesendete Programm. In der KEF-Rechnung beziffere der Programmaufwand aber nur den Beschaffungsaufwand für den Ankauf z.B. von Filmen oder externen Produktionen. Daraus finanziert würden auch Leistungsvergütungen, Urheberrechte und freie Mitarbeiter. Wenn also Mittel aus dem Aufwand für die externe Programmbeschaffung in den Personalaufwand umgeschichtet würden, stehe hier weniger Geld zur Verfügung. Deshalb fordere die KEF auch einen Nachweis über die Verwendung zusätzlicher Mittel, die im 20. Bericht gerade bereitgestellt wurden, um externe Produktionen und die Beteiligten wie Urheber, Kreative, Schauspier etc. besser bezahlen zu können. Im Übrigen dränge die KEF schon seit längerem auf eine Verschlankung der eigenen Produktionsbetriebe der Anstalten. Da sei viel zu lange nichts passiert, sagte der KEF-Vorsitzende.
Fischer-Heidlberger versuchte, das KEF-Verfahren in einigen seiner zentralen Strukturen zu erläutern, beispielsweise wie ein Basisjahr, das für die Berechnungen der nächsten Beitragsperiode als Grundlage herangezogen wird, extrapoliert und die Ausgaben dieses Jahres mit Fortschreibungsrate auf die Folgejahre „als Prognose“ festgeschrieben werden. Und wie sich die rundfunkspezifische Steigerungsrate bei ARD und ZDF von 2,01 Prozent im Jahr über ein teilweise indexgestütztes Verfahren errechnet.
Doch die Dokumentarfilmer interessierte mehr, warum sich diese jährliche Steigerungsrate nicht durchschlägt auf Auftragsproduktionen, und wie die KEF kontrollieren will, wie die 253 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für Produzenten und Urheberrechte tatsächlich von ARD und ZDF ausgezahlt werden. Und einige der Anwesenden wollten nicht einsehen, warum die KEF die konkrete Verwendung der Mittel in den Anstalten nicht generell besser kontrollieren könne.
Dass für die laufende Beitragsperiode 253 Millionen Euro zusätzlich zur Abgeltung von Urheberansprüchen und Leistungsschutzrechten zur Verfügung gestellt wurden, sei bereits eine Ausnahme, erläuterte Fischer-Heidlberger, „denn normalerweise sind solche Erhöhungen in die rundfunkspezifische Steigerungsrate eingepreist“. Erst intensive Gespräche mit Sendern, Verbänden und politischen Gremien haben die KEF davon überzeugt, dass hier ein erheblicher Nachholbedarf bestand und dass eine Schieflage beseitigt werden musste.
Fischer-Heidlberger forderte die AG DOK auf, in diesem Zusammenhang ihren fachlichen Input zu geben. „Denn wir sind sehr interessiert an konkreten Beispielen zur Situation.“ Dennoch machte er auch klar, dass die KEF längst „an den Grenzen der Belastbarkeit“ angekommen und keine Kontrolleinrichtung sei.
Einige solcher Beispiele konnte der KEF-Vorsitzende gleich aus der Sitzung mitnehmen: Ein Produzent und Filmemacher berichtete zum Beispiel davon, dass er 2001 für einen ARTE-Film 100.000 Euro bekommen habe, 2007 waren es für einen vergleichbaren Film noch 65.000 Euro und heute werde ein solcher Film nur noch mit 45-50.000 Euro bezahlt. In internen Gesprächen mit den Sendern müsse immer die KEF herhalten, obwohl sie gar nichts dafür kann: Sie sei das „Feigenblatt“ dafür, dass der Produktionsbereich kaputtgespart wird, kritisierte der Dokumentarfilmer. Trotz der zusätzlichen Mittel sei gerade der Dokumentarfilmbereich von angemessenen Vergütungen noch meilenweit entfernt. Tarifgagen sollen für die Dokumentarfilmproduktion zum Beispiel überhaupt nicht gelten.
So erfuhren nicht nur die versammelten AG DOK-Mitglieder manches zum Verständnis der äußerst komplizierten KEF-Berechnungen – der KEF-Vorsitzende erfuhr umgekehrt auch einiges zu den Tricks und Kniffen, mit denen die Sender immer noch dafür sorgen, dass die wohlgemeinte Erhöhung der Urhebervergütungen und Produzentenerlöse letztlich doch nicht bei den Adressaten ankommt. Da wird nach wie vor mit Festpreisen operiert, und bevor man oben generös ein paar Euro aufsattelt, hat man durch die Streichung von Dreh- und Schnitt-Tagen vorher längst ein Vielfaches davon abgezogen. Und wenn die Grundvergütungen schon nicht stimmen, helfen Wiederholungsvereinbarungen auch nicht weiter. Die Feststellung, dass der KEF-Vorsitzende einerseits und die Dokumentarfilmer andererseits aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln auf das Problem der Rundfunkfinanzierung schauen, ist sicher richtig. Und doch hat das Gespräch das Verständnis für diese unterschiedlichen Standpunkte befördert.
Und vielleicht hat es sogar die eine oder andere Vorlage für kommende politische Diskussionen geliefert: Warum, so fragt man sich in der AG DOK, kann die Ministerpräsidentenkonferenz die KEF nicht nach dem Vorbild der britischen OfCom mit erweiterten Kontrollbefugnissen ausstatten? Und warum lässt sich die Zuweisung der Programmmittel nicht verbindlich den einzelnen im Staatsvertrag beschriebenen Programmbereichen zuordnen? Und wenn jetzt die zweckentsprechende Verwendung der zusätzlich bereitgestellten 253 Millionen Euro geprüft wird – warum lassen sich dann nicht auch andere Bereiche besser überwachen, damit das Geld nicht irgendwo im undurchsichtigen Apparat der Sender versickert.
TF / dom