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Netzwelt

Öffentlich-rechtliches Internet

vom 30.05.2012

Ein Vorschlag der AG DOK zur Haushaltsabgabe

Dass sie kommt, ist beschlossene Sache. Ab 2013 wird die Abgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr an den Besitz eines Empfangsgeräts gekoppelt, sondern pro Haushalt erhoben. Medienexperten rechnen im Zuge dieser Umstellung mit Mehreinnahmen von 800 Millionen Euro. Die Mittel zur Rundfunkfinanzierung würden damit auf mehr als 8 Milliarden Euro steigen. Zehn Prozent dieser Summe sollen nach Vorschlag der AG DOK nun dem System der bestehenden öffentlich-rechtlichen Senderketten entzogen und direkt zur Finanzierung freier Internet-Projekte eingesetzt werden. Das sieht ein Thesenpapier des Verbandes vor, das am 20. Oktober beim Dokumentarfilmfestival in Leipzig vorgestellt und mit Vertretern der Netzgemeinde unter dem Titel DIE HAUSHALTSABGABE - NEUE CHANCEN FÜR DEN UNABHÄNGIGEN FILM? diskutiert wurde.

Thomas Frickel, Vorstandsvorsitzender der AG DOK, nutzte die Eröffnung der Veranstaltung zu einer medienpolitischen Analyse und wiederholte die wesentlichen Kritikpunkte des Verbandes an der öffentlich-rechtlichen Programmpolitik: die seit Jahren zu beobachtende Verflachung der Inhalte, das Abschieben von anspruchvollen Produktionen auf immer spätere Sendeplätze, Quotendenken statt Wahrnehmung des Bildungsauftrags. Statt am gigantischen Personalapparat wird am Programm gespart und überhaupt - was ist das für ein Markt, wenn die Käufer die Marktbedingungen diktieren? Demgegenüber steht der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den auch der Heidelberger Verfassungsrechtler Prof. Paul Kirchhof in seinem Gutachten zur Rundfunkfinanzierung noch einmal ausdrücklich hervorgehoben hat: für den Bestand der Demokratie ist freier Zugang zu Information lebensnotwendig, deshalb muss der Staat dafür sorgen, dass Informationsangebote bereit gestellt werden, und zwar unabhängig von Einschaltquoten und Massenattraktivität. Entscheidend ist das Angebot selbst, nicht die Nutzung im Einzelfall. Das begründet den hohen verfassungsrechtlichen Rang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, und auch die Notwendigkeit seiner Finanzierung durch die Allgemeinheit. Weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch die digitale Revolution seine Monopolstellung als Alleinanbieter und Leitmedium verliert, müssten folgerichtig auch andere von pluralistisch besetzten Gremien überwachte kosten- und werbefreie Medienangebote, die zur Stärkung der Informations- und Meinungsfalt beitragen, als eine neue Form des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an dieser Finanzierung teilhaben.

Gebühren splitten und anders verteilen

Die AG DOK schlägt daher vor, im Unterschied zum bisherigen Procedere zehn Prozent des gesamten Gebührenaufkommens –also die erwähnten 800 Millionen Euro- direkt den Programmherstellern zukommen zu lassen – und zwar nicht nur Dokumentarfilmern, sondern allen Netzaktiven, die kostenfreie Angebote ins Netz stellen, die werbefrei, nicht-kommerziell und staatsfern die inhaltlichen Vorgaben des Programm-Auftrags erfüllen. Die so entstehenden Inhalte sollen unzensiert und ohne Quotendruck die pluralistische Gesellschaft abbilden und Diskurs und Teilhabe ermöglichen. Die Vergabe der Mittel könnte -ähnlich wie heute bereits in der Filmförderung- durch unabhängige Gremien erfolgen, wie sie ja zum Beispiel in den Landesmedienanstalten bereits existieren.

Um zu diskutieren wie das genau gehen könnte, wie nun wer das Geld auf welche Weise und an wen verteilen könnte, lud die AG DOK Vertreter von Netzinitiativen ein, die ebenfalls an alternativen Verteilmodellen arbeiten.

Modelle

Cay Wesnigk, Vorsitzender und Motor der onlinefilm.org, begreift das Internet als einen Teil der Öffentlichkeit. Weil Kunst und Kultur aber nicht per Mehrheitsvotum entschieden werden können, plädiert Wesnigk für einen Mix aus dirigistischen und plebiszitären Elementen: der für das Internet vorgesehene Prozentsatz der Haushaltsabgabe wird zum einen Teil als „Projektförderung“ über Gremien verteilt und zum anderen Teil mit einem Social-Payment-Service kombiniert. Jeder Gebührenzahler kann frei über einen festgelegten Teilbetrag (z.B. € 5.-/Monat) verfügen und selbst entscheiden, welche Projekte er/sie damit unterstützt. Dafür versehen die Macher ihre Inhalte im Netz mit flattr-buttons, die bei Gefallen angeklickt werden. Am Monatsende wird der Betrag des Nutzers gemäß seinen Klicks an die Medienanbieter verteilt; ein Modell, das nicht zuletzt durch die relativ erfolgreiche „wir-brauchen-frisches-Geld“-Aktion der alternativen Tageszeitung taz populär wurde.

Falk Lüke, Mitbegründer der „Digitale Gesellschaft e.V.“, einer kampagnenorientierten Initiative für eine bürgerrechts- und verbraucherfreundliche Netzpolitik, ist in seinen Forderungen etwas bescheidener. Er wirft die schöne Zahl von 7.545.000.000 an die Wand und ins Publikum: das Jahresbudget der GEZ in Euro 2010. Die digitale Gesellschaft begnügt sich mit einem Prozent dieser Summe, das soll ebenfalls via flattr verteilt werden; je nach individueller Präferenz des Users an Konzepte, Sendungen, Formate, Radiostationen, Kooperationen, was auch immer. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Beträge fürs Folgejahr gelten. Wenn mir heute etwas gefällt, gebe ich Geld dafür, dass es im nächsten Jahr produziert oder fortgesetzt wird. Lüke verspricht sich davon zweierlei: die Nutzer wären aktiv beteiligt und hätten ein Mitspracherecht; man würde endlich inhaltliche Diskussionen führen – darüber was das Publikum wirklich sehen will (und was nicht). Seinen launig vorgetragenen Vorschlag nennt Lüke „einen kleinen Schritt mit offenem Ausgang“ – nicht zuletzt deswegen, weil „vielleicht bleibt ja Jauch hochdotiert und die Doku kriegt am Ende nix“.

Der Medienexperte Volker Grassmuck unternimmt in seinem Kurzvortrag eine rasante Reise durch bestehende finanzielle Beteiligungsmodelle im Internet: entweder werden Projekte kollektiv vorab finanziert (das so genannte „crowdfunding“, wie es z.B. die Plattform Kickstarter betreibt); ein bestehendes Werk kann nachträglich „freigekauft“ und damit im Netz öffentlich zugänglich gemacht werden oder bereits finanzierte und veröffentlichte Inhalte werden nachträglich belohnt (z.B. flattr). Studien haben gezeigt, dass Nutzer grundsätzlich bereit sind, für Inhalte zu bezahlen - Musiker verdienen im Netz mehr, wenn man die Höhe des Obulus für einen Download selbst bestimmen kann anstatt einen fixen Satz bezahlen zu müssen. Grassmuck plädiert für sein Modell einer Tauschlizenz: die basiert auf der Idee der Kulturflatrate und sieht vor, dass alle Internet-Nutzer einen pauschalen Betrag bezahlen, der denen zugute kommt, die die kreativen und urheberrechtlich geschützten Werke schaffen, die im Netz privat kopiert, getauscht und remixt werden. Die gesamte Vergütungssumme soll zwischen Urhebern und Publikum ausgehandelt und an die Macherausgeschüttet werden. Am Ende stünde im Falle einer solchen Verteilung der Rundfunkgebühr die „totale Demokratie“: die Entscheidung darüber, welches Programm angeboten wird, fällen die Nutzer und nicht die Intendanten oder Rundfunkräte.

Zwischendurch sprach sich der Medienjournalist Kai Hinrich Renner, Autor des Buches „GEZ für alle“, dafür aus, die Rundfunkabgabe generell in eine Medienabgabe umzudenken: alles geht im Netz auf, auch die Existenz freier Presse ist eine Säule der Demokratie, aber als Printprodukt findet sie immer weniger statt. Von einer Medienabgabe müssten alle Anbieter mit hochqualitativen Angeboten profitieren; analog zu den Filmförderungen und der Subvention von Theatern sollte auch die Presse gefördert werden.

Elitenentscheid versus Plebiszit

Die anschließende Diskussion unter der Moderation von Heiko Hilker (Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung) ergab zwar nicht den versprochenen Dialog, verdeutlichte aber zumindest die Positionen: die AG DOK hält fest an der Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und hofft dass ein partizipatorisches Bezahlungsmodell die Gebührenakzeptanz erhält bzw. erhöht. Vor allem aber erinnerte Thomas Frickel unermüdlich an den Programmauftrag der Sender: sie sind verpflichtet, Inhalte zu produzieren, die der freie Markt nicht anbietet anstatt mit Gebührengeldern Marktmechanismen außer Kraft zu setzen wie zuletzt im Poker um die Champions League. Die Netzaktivisten, allen voran Falk Lüke, nennen das einen elitären Ansatz. Sie favorisieren eine quasi basisdemokratisch hergestellte Programmvielfalt. Im Kern geht es der Netzgemeinde immer darum, Werke lizenzfrei zur Nutzung im Netz freizugeben – entweder weil sie anderweitig finanziert oder durch eine Abgabe quasi ausgelöst wurden.

Dass dafür das deutsche Urheberrecht geändert werden müsste, fand in der Runde keine Beachtung. Die alles entscheidende Frage aber illustrierte Cay Wesnigk mit dem schönen Bild von der Sch… und den Fliegen (und zwar unter Berufung auf einen Slogan aus der Kampagne der Studentenbewegung gegen die Bild-Zeitung, die anscheinend ja auch zu den schützenswerten Kulturgütern gehört): vertragen sich Kunst und Kultur mit demokratischen Strukturen oder nicht? Erreicht man mit einer plebiszitär verteilten Haushaltsabgabe nicht doch die totale „Anbiederung an den Massengeschmack“, also genau den Zustand, den Paul Kirchhof als nicht verfassungsgerecht ansieht? 
 
Zum Thesenpapier der AG DOK zur Haushaltsabgabe.

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