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Medienpolitik

Die Panoramafreiheit muss erhalten bleiben!

vom 02.07.2015

AG DOK wendet sich gegen eine Privatisierung der Wirklichkeit

02.07.2015 - Frankfurt am Main. Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm / AG DOK, mit rund 750 Mitgliedern der größte europäische Verband unabhängiger Filmschaffender im Dokumentarfilm-Bereich, wendet sich gegen europäische Bestrebungen zur Einschränkung der so genannten „Panoramafreiheit“ und bittet die Abgeordneten des Europaparlaments, die entsprechende Änderung bei der bevorstehenden Abstimmung über die Grundzüge eines neuen europäischen Urheberrechts abzulehnen.

Seit Januar 1966 ist in Deutschland gesetzlich geregelt, dass die Aufstellung eines Kunstwerkes in der Öffentlichkeit zum Ausdruck bringt, dass damit das Werk der Allgemeinheit gewidmet ist. Jedermann soll das Werk abbilden und die davon gefertigten Bilder nutzen können:

§ 59 UrhG  - (gegenwärtige Fassung im deutschen Urhebergesetz)
(1) Zulässig ist, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Grafik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Bei Bauwerken erstrecken sich diese Befugnisse nur auf die äußere Ansicht.

Dieses Recht gilt auch in England, der Schweiz, Polen, Österreich und vielen weiteren Staaten in der EU, allerdings nicht in Frankreich und in einigen südeuropäischen Ländern. Es erlaubt, ohne besondere Genehmigung Werke der bildenden Kunst und Bauwerke im öffentlichen Raum aufzunehmen, solange die Aufnahmen von öffentlichem Grund aus erfolgen –also von Straßen und Wegen, die der Öffentlichkeit allgemein zugänglich sind.  

Die Abgeordnete Julia Reda hatte für den EU-Rechtsausschuss einen Berichtsentwurf für die Reform des Urheberrechts vorgelegt, dem die deutsche Regelung der Panoramafreiheit zugrunde lag. Von französischer Seite wurde dann eine Änderung durchgesetzt, die vorsieht, dass die gewerbliche Nutzung solcher Aufnahmen immer an die vorherige Einwilligung des berechtigten Urhebers oder eines sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein muss.

Dieser Auffassung tritt die AG DOK entgegen.

Wenn sich dieser Änderungsvorschlag durchsetzt, würde er die Möglichkeiten freier Berichterstattung  einschränken, denn aus der Ausweitung des Urheberrechts auf  bleibende Objekte im öffentlichen Raum könnten dann natürlich auch Verbotsrechte abgeleitet werden. Wichtige Teile unserer Umgebung könnten damit der Abbildung und Wiedergabe im Dokumentarfilm entzogen werden, denn exponierte Gebäude, Denkmäler, Brunnen etc. stehen in unseren Städten nun einmal an besonders zentralen und stark frequentierten Orten. Zudem würde eine solche Regelung regelmäßig nicht nur das Kunstwerk selbst, sondern auch den möglicherweise ungeschützten Hintergrund und weite Teile seiner Umgebung betreffen – Bereiche also, deren Abbildung ebenfalls unmöglich wird, weil sie nicht von dem geschützten Objekt zu isolieren sind. Einmal ganz abgesehen von dem dann erforderlichen Aufwand der Rechteklärung und von möglichen Lizenzforderungen, die schon heute in vielen Fällen Nutzungen eher verhindern als sie zu ermöglichen. Denn in den seit Jahren sinkenden Budgets, die für die Herstellung von Dokumentarfilmen zur Verfügung stehen, sind solche zusätzlichen Kosten nicht mehr unterzubringen.    

Der Begriff der „gewerblichen Nutzung“ ist zudem schwammig und Filmemacher werden sich durch zahllose Abmahnungen von Rechteinhabern bedroht sehen. Denn wie soll der Regisseur oder die Regisseurin eines Dokumentarfilms die vorherige Einwilligung von Urhebern einholen, wenn gar nicht absehbar ist, welchen Weg ein Protagonist in der realen Aufnahmesituation wählen und welche Gebäude und Werke der bildenden Kunst er passieren wird? Wie lässt sich herausfinden, wer die Rechte an diesem Werk hält, mit wem müssen wir nachträglich einen Nutzungsvertrag abschließen – und wer setzt die Preise dafür fest?

Sollten diese Ideen Wirklichkeit werden, könnte das eine Lawine juristischer Auseinandersetzungen um die Frage auslösen, ob es sich bei der Abbildung um unwesentliches „Beiwerk“ im Sinne des § 57 UrhG handelt. In diesem Fall wäre zwar eine lizenzfreie Veröffentlichung möglich, doch zeigen unzählige Streitigkeiten um Musikverwendung im Dokumentarfilm, wie schwer so etwas im Einzelfall zu klären ist.

Unser Fazit: Durch die geplante Änderung würde ein seit Jahren problemloser Bereich in unvertretbarer Weise bürokratisiert. Das nutzt am Ende der Juristenzunft mehr als den Urhebern, um die es angeblich geht.

Die AG Dokumentarfilm sieht die in Brüssel diskutierte Änderung der Rechtslage in einer Reihe mit anderen Bestrebungen zur Privatisierung des öffentlichen Raumes. So mehren sich die Fälle, in denen von privaten Eigentümern unter Berufung auf das Hausrecht Drehverbote in öffentlich zugänglichen Bereichen ausgesprochen werden, und selbst die Abbildung einfacher Gebrauchsgegenstände wird immer komplizierter, weil zunehmend ein urheberrechtlicher Schutz für Dinge beansprucht wird, die jahrelang allenfalls als eingetragenes Design geschützt waren. Ein großes Problem stellt auch die nahezu allgegenwärtige Beschallung des öffentlichen Raumes mit Musiken und Handy-Tönen dar - hier kollidiert die Verwendung dokumentarischer Original-Töne immer häufiger mit den materiellen Interessen geschäftstüchtiger Musik-Verwerter. Wenn das so weitergeht, werden wir bald nicht mehr ohne Anwalt zum Drehen fahren können.

Bereits in dem Konsultationsprozess, der einer neuen europäischen Urheberrechtsgesetzgebung vorausging, hat die AG DOK deshalb mit Nachdruck auf diese Einschränkungen des freien Informationsflusses hingewiesen und für einen Abbau solcher Hemmnisse plädiert. Doch anstatt das Urheberrecht an diesem Punkt nach vorne zu entwickeln, scheint die EU eher auf dem Rückzug in die siebziger Jahre.

Mit einer adäquaten Reaktion auf die geänderten Rahmenbedingungen der Medienwelt und mit der von der Politik immer wieder betonten Notwendigkeit, das Urheberrecht den Erfordernissen unserer offenen Informationsgesellschaft anzupassen, hat das nicht mehr viel zu tun.

 

Presse-Echo

Rhein-Zeitung: "Schnappschüsse bald nur noch gegen Gebühr? Thomas Frickel, Vorsitzender der AG DOK, Interessenverband deutscher Dokumentarfilmer, nennt es treffend die "Privatisierung der Wirklichkeit" und meint damit eine Ausweitung des Privateigentums zulasten des öffentlichen Raumes"

Deutschlandradio Kultur: "Dokumentarfilme bilden die Wirklichkeit ab. Doch nach dem Willen der EU sollen Werke anderer Künstler, die im Bild auftauchen, bald vom Urheberrecht geschützt sein. Thomas Frickel, Chef der AG DOK, warnt vor einer "Privatisierung der Wirklichkeit""

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