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Spezial
Öffentlich-Rechtliche: "Ein tendenziell zu einseitiges Programm"
AG DOK-Vorstandsmitglied Thorolf Lipp im TELEPOLIS-Interview
vom 14.02.2018
Thorolf Lipp, Filmemacher und Vorstandsmitglied der AG DOK, zum schwierigen Stand von Dokumentationen bei ARD und Co.
Ein Fußballspiel übertragen oder einen gut gemachten abendfüllenden Dokumentarfilm zeigen? Die Öffentlich-Rechtlichen setzen da klare Prioritäten - und zwar in Richtung des Sports. Dieser Auffassung ist der Dokumentarfilmer Thorolf Lipp, der in einem zweiteiligen Interview mit Telepolis auf Schieflagen im öffentlich-rechtlichen System eingeht.
Der Filmproduzent, der auch Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK), schildert im Interview, dass alleine für die Übertragungskosten eines Fußballspiels in der Nations-League 40 "lange Dokumentarfilme finanziert" werden könnten, "die mit Sicherheit einen im Sine des Rundfunkstaatsvertrages weit höheren, weil demokratiebefördernden Mehrwert hätten und zur Vielfalt" beitragen würden. Umstrukturierungen in Programm und Budget, so Lipp, sind hier unabdingbar um den Rundfunkauftrag angemessen zu erfüllen.
Herr Lipp, das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem ist mit viel Geld ausgestattet. Gut gemachte Dokumentationen in das Programm einzuspeisen, sollte eigentlich kein Problem sein, oder?
Thorolf Lipp: Lassen Sie mich auf die Frage vielleicht in einem etwas größeren Bogen antworten: Wo setzen die öffentlich-rechtlichen Sender Prioritäten? Wofür wird verhältnismäßig viel, wofür verhältnismäßig wenig Geld ausgegeben? Und zwar sowohl was absolute Zahlen im Hinblick auf die Kosten pro Sendeminute, als auch die Kosten pro erreichtem Zuschauer anbelangt.
Innerhalb des ERSTEN der ARD verschlingt der Sport circa 25 Prozent der Programmbeschaffungskosten, füllt damit aber nur circa acht Prozent der Sendezeit. Auf der anderen Seite erhält der Programmbereich Wissen und Bildung, hier Zahlen des Bayerischen Fernsehens innerhalb des ARD Verbundes, nur einen Anteil von circa sechs Prozent des Programmetats, muss damit aber circa 15 Prozent der Sendezeit füllen. Das ist offenkundig ein eklatantes Ungleichgewicht zugunsten eines Programmbereiches, der auch anders finanziert werden könnte.
Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Thorolf Lipp: Bisher kosteten die Rechte an den Spielen der Fußballnationalmannschaft bei EM oder WM bei circa 4 Millionen Euro pro Spiel. Bei der jetzt von den findigen Vermarktungsstrategen der Fußballlobby UEFA neu eingeführten Nations League liegen sie bei circa 10 Millionen Euro pro Spiel . Ein Sportereignis, das bislang offenbar niemand brauchte, und das selbst namhafte deutsche Fußballmanager eher skeptisch sehen können sich die öffentlich-rechtlichen Sender also offenbar von jetzt auf gleich leisten, während im Bereich Wissen und Bildung tendenziell immer weiter eingespart wird.
Statt also bei der Programmgestaltung dem in verschiedenen Rundfunkgutachten geforderten Subsidiaritätsprinzip zu entsprechen, ist nach wie vor das Gegenteil der Fall. Mit anderen Worten: Beim Fußball gibt es ja, wie etwa auch bei anderen Sport-Großereignissen, kein Marktversagen, das können und wollen private Anbieter sich leisten. Da könnten sich die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender viel stärker zurückhalten und die freiwerdenden Gelder für andere Programmbereiche umschichten. Dies umso mehr, weil ARD und ZDF im europaweiten Vergleich mit anderen öffentlich-rechtlichen Sendern Spitzenreiter bei der Übertragung dieser Sport-Großereignisse.
Das Gegenteil ist aber der Fall. Der im Verhältnis ausgegebener Euro pro Sendeminute vergleichsweise mager ausgestattete Programmbereich "Wissen & Bildung" subventioniert, so gesehen, vielmehr den exorbitant teuren Programmbereich Sport. Für 10 Mio. Euro kann man also lediglich ein einzelnes Nations-League Fußballspiel übertragen.