AG DOK - Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm e.V.
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Medienpolitik
500 Filme sind zu wenig!
vom 28.04.2015
AG DOK mahnt andere Prioritäten im Umgang mit dem audiovisuellen Erbe an
Die AG Dokumentarfilm schlägt Alarm: „Unser Filmerbe braucht uns – jetzt!“ ist eine Broschüre betitelt, die der Dokumentarfilmverband zusammen mit der Fachzeitschrift „Film- und TV-Kameramann“ herausgegeben hat. Das Heft umfasst vor allem vier kritische Texte, in denen AG DOK-Mitglied Prof. Helmut Herbst als Filmemacher und Filmtheoretiker in den letzten Jahren auf die Misere des Umgangs mit unserem audiovisuellen Vermächtnis aufmerksam gemacht hat – darunter auch seinen von mehr als 6000 Personen unterzeichneten Aufruf zur Rettung des Filmerbes. Ergänzt werden seine Ausführungen durch ein einordnendes Vorwort der AG DOK sowie durch ein Glossar, das die wichtigsten Fachbegriffe in Zusammenhang mit Archivrettung und Digitalisierung erklärt.
Der Umgang mit der audiovisuellen Überlieferung in Deutschland bietet aus Sicht der AG DOK in der Tat Grund zur Sorge. Denn während unser Nachbarland Frankreich für die kommenden sechs Jahre ein Sofortprogramm von 400 Millionen Euro zur Rettung des nationalen Filmerbes bereitstellt, hat der deutsche Bundestag dem Finanzminister für dieses Jahr gerade einmal eine Million für diesen Zweck abgerungen. Eine weitere Million stellt die Filmförderungsanstalt FFA zur Verfügung - und das war´s dann auch schon.
Nun sind die deutschen Maßstäbe allerdings auch recht bescheiden. Offenbar kommt es hierzulande gar nicht darauf an, die beeindruckende inhaltliche und künstlerische Breite und Vielfalt der audiovisuellen Überlieferung zu bewahren, sondern man begnügt sich damit, nach filmwissenschaftlichen Auswahlkriterien einzelne Exemplare aufzuspießen und im Setzkasten eines überschaubaren filmgeschichtlichen Panoptikums zur Schau zu stellen. Rund 500 Filme aus 120 Jahren deutscher Filmgeschichte hat der Verbund der vier größten deutschen Filmarchive für wert befunden, in die digitale Zukunft hinein gerettet zu werden. Das wären also gerade einmal vier Filme pro Jahrgang. Die Archive nennen das eine Auswahl nach dem „Arche Noah-Prinzip“: laut biblischer Überlieferung durften ja bekanntlich auch nur zwei Exemplare jeder Spezies auf die rettende Arche – der Rest war zum Ertrinken verurteilt. Auf die Welt des analogen Films übertragen heißt das: zum Verschimmeln, zum Zerfallen, zum Vergammeln.
Natürlich zwingen die bescheidenen Mittel, die Deutschland zur Rettung seines audio-visuellen Erbes übrig hat, zur Prioritätensetzung. Aber wo und wie diese Prioritäten gesetzt werden, kann die AG DOK nicht akzeptieren. Denn die Sicherung des audiovisuellen Erbes spielt für Dokumentarfilmschaffende eine ganz entscheidende Rolle – sind sie doch aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln davon betroffen: als Nutzer historischer Filmmaterialien, die sie für ihre Eigen-Produktionen nutzen, ebenso wie als Produzenten, die in ihrem Berufsleben oftmals selbst zeitgeschichtlich bedeutsame Aufnahmen erstellt haben. Vieles davon droht nun verloren zu gehen.
Die AG DOK begnügt sich deshalb nicht damit, die momentane Situation zu kritisieren. Der Verband wird Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters ein Projekt vorschlagen, das neben dem Digitalisierungs-Programm der Groß-Archive auch einen anderen, mehr auf die Sicherung zeitgeschichtlich bedeutsamer Materialien fokussierten Ansatz verfolgt. Es geht – vereinfacht gesagt – darum, bedrohtes Material dort abzuholen, wo es unter teilweise verheerenden Bedingungen auf Dachböden oder in Kellern gelagert ist. Denn einer wissenschaftlichen Bestandsaufnahme zufolge gibt es in Deutschland ungefähr 1000 verschiedene Orte, an denen filmhistorisch bedeutsame Archivalien aufbewahrt werden.
Bereits im Sommer 2014 hat die AG DOK mit der spektakulären Rettung von mehr als 16.000 Filmbüchsen aus dem Bestand eines früheren Berliner Kopierwerks bewiesen, dass sie das Thema nicht nur theoretisch angeht. Mit finanzieller Unterstützung der Verwertungsgesellschaften GÜFA und VG Bild-Kunst konnte der Verband inzwischen damit beginnen, die dort gesicherten Filmbestände zu inventarisieren und in reguläre Archivbestände zu überführen.