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Telefon im Kühlschrank

vom 19.05.2015

AG DOK-Diskussion über „Whistleblower“ zum DOK.fest München

Von Thomas Frickel

(Hier gehts zur Videoaufzeichnung der Veranstaltung.)

Der Kinosaal in der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film konnte gar nicht alle Zuschauer  aufnehmen, die am 10. Mai im Rahmen des Münchner DOK.fests den oskarprämierten Film „Citizen Four“ über und mit Geheimdienst-Enthüller Edward Snowden sehen wollten. Nicht ganz so viele waren zwei Stunden zuvor gekommen, um einer hochkarätig besetztes Podiumsdiskussion zuzuhören: auf Einladung der AG DOK debattierten der deutsche „Citizen Four“-Produzent Dirk Wilutzki – live aus Los Angeles zugeschaltet –, BR-Programmchefin Bettina Reitz, WDR-Redakteur Jo Angerer, der Dokumentarfilmer Wolfgang Landgraeber und der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele über den Umgang mit Menschen, die aus ethischen und moralischen Gründen ihre Verschwiegenheitspflicht brechen, um die Öffentlichkeit über finstere Machenschaften der Mächtigen zu informieren. Dabei oblag es dem Filmemacher und Produzenten Stefan Lamby, die Podiumsgäste mit klugen und insistierenden Fragen zu klaren Aussagen zu bewegen.

Bei Christian Ströbele konnte er sich darauf beschränken, allzu weit ausholende Erklärungen zu verkürzen, denn der Rechtsanwalt und Angehörige des parlamentarischen Kontrollgremiums sparte auch in München nicht mit deutlicher Kritik an der Haltung der deutschen Regierung. Gleich zu Beginn der Diskussion brandmarkte er die Servilität, mit der Deutschlands Geheimdienst BND amerikanischen Spionen den Weg zur lückenlosen Überwachung zahlloser deutscher und europäischen Funktionsträger und Industrieunternehmen geebnet hat ebenso wie die Versuche von Innenminister De Maiziere, sich mit fadenscheinigen Statements aus der Verantwortung dafür zu winden: sowohl das Parlament als auch die Bevölkerung seien von der Regierung dreist belogen worden. Für Ströbele ist der Fall ohnehin klar: jemand wie Snowden, den er als erster Politiker im Moskauer Exil besuchte, gehören nicht vor Gericht, sondern ihnen gebührt eigentlich der Friedensnobelpreis. Damit würde sich dann hoffentlich auch die Haltung der Bundesregierung ändern, die in blinder Vasallentreue zu den Vereinigten Staaten dem ehemaligen amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter bis heute die Einreise nach Deutschland verweigert.

Dass der BR "Citizen Four" außerhalb der herkömmlichen Entscheidungsstrukturen unterstützt hat, zeigt den guten Riecher von Bettina Reitz.
Foto: Thomas Frickel
Der Kinosaal in der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film war gut besucht.
Foto: Thomas Frickel
 

Der Schritt in eine möglichst breite Öffentlichkeit, so Dirk Wilutzky, sei für „Whistleblower“ wie Snowden der einzig mögliche Schutz – deshalb sei die Allianz zwischen Filmemachern und Informanten unverzichtbar. Auch im Fall von „Citizen Four“ habe der Protagonist ein Filmteam gesucht – und nicht das Filmteam irgend eine Geschichte. Vermittelt durch den Journalisten Glenn Greenwald entschied Snowden sich für die Filmemacherin Laura Poitras, die wegen ihrer Recherchen über Julien Assange und andere zu diesem Zeitpunkt bereits im Fadenkreuz der US-Geheimdienste stand. Aus Sicherheitsgründen habe sie sich dafür entschieden, ihre Arbeit nicht in den USA, sondern in Berlin weiterzuführen – und so kam es zur Zusammenarbeit mit Schnittmeisterin Mathilde Bonnefoy und Produzent Dirk Wilutzky. Ganz sicher wähnte sich das Filmteam freilich auch in Deutschland nicht - interne Diskussionen führten die Beteiligten zuweilen auf Zetteln, die anschließend verbrannt wurden. Und die Mobiltelefone lagen derweil abhörsicher im Kühlschrank. Dass dem Film mit dem Oscar der renommierteste Filmpreis der Welt zugesprochen wurde, veränderte zwar die politische Debatte innerhalb der USA ein wenig – aber Snowden wird weiterhin von den US-Geheimdiensten gejagt. Der Haftbefehl gegen ihn bleibt in Kraft.

Selbst im Bayerischen Rundfunk, dessen Programm-Chefin Bettina Reitz sich sehr schnell und noch ohne festes Budget zur Unterstützung des Projekts entschloss, wurde der Film deshalb sicherheitshalber unter einem Decknamen geführt. Dass der Sender in diesem Fall außerhalb der herkömmlichen Entscheidungsstrukturen gehandelt hat, verriet zwar einmal mehr den guten Riecher von Bettina Reitz – war aber eine absolute Ausnahme im deutschen Fernseh-Alltag, wo Projekte mit ungewissem Ausgang normalerweise nicht sonderlich gut angeschrieben sind. Denn einerseits, so Angerer, müsse natürlich die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Informanten und der vorgelegten Dokumente erst genau geprüft werden – aber selbst dann sei nicht in jedem Fall sicher, ob aus einer Recherche auch ein sendefähiger Film wird.     

Dennoch glaubt Stefan Lamby, in den Sendern einen Trend zu mehr investigativen Themen erkennen zu können – in der internen Konferenz eines ARD-Senders seien Filmemacher und Produzenten jedenfalls dazu aufgefordert worden, sich mit den Mächtigen anzulegen. Doch leider, so ergab die anschließende Öffnung der Debatte ins Publikum hinein, liegen die mit diesem Appell verbundenen Risiken fast immer bei den unabhängigen Produzenten – ihnen – und nicht dem Sender – bürden standardisierte Vertragsklauseln die juristische Verantwortung für den Fall auf, dass Betroffene Stellen gegen einen Film vorgehen. Dieses Abwälzen der Verantwortung von großen, juristisch gut aufgestellten und finanzstarken Fernsehanstalten auf kleine unabhängige Produzenten wird von der AG DOK schon lange kritisiert – in ungünstigen Fällen kann es zum wirtschaftlichen Ruin einer Produktionsfirma führen.

Ganz so dramatisch mochte Wolfgang Landgraeber das nicht sehen. Solche Fälle seien selten, und in seiner Arbeit habe er sich nicht alleine gelassen gefühlt. Allerdings stand er auch in einem festen Arbeitsverhältnis zu einem Sender. Und wie schnell man bei dieser Arbeit ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten kann, musste auch er einmal am eigenen Leib erfahren, als vor einigen Jahren im Zuge einer Recherche im RAF-Umfeld die Polizei klingelte und in den Büros und Privatwohnungen des Filmteams Razzien veranstaltete.

Dokumentarfilmer und Whistleblower – das war, ist und bleibt eine riskante Allianz. Allerdings eine, die im Interesse offener, demokratischer verfasster Gesellschaften unverzichtbar ist.

Beitrag zur Veranstaltung vom 11.05.15 im Kameramann

 

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