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TV-Broadcasting
14 - Tagebücher des Ersten Weltkrieges
from 29.03.2014
2014 erinnern unzählige Veranstaltungen und Veröffentlichungen an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, der als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu gewaltigen politischen Umwälzungen geführt hat. Im internationalen Wettlauf um das Gedenken ist es dem Leipziger Produzenten und AG DOK-Mitglied Gunnar Dedio (LOOKS-Film) gelungen ein ambitioniertes Film-Projekt zu stemmen: die achtteilige Doku-Serie „14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges“, ausgestrahlt ab 29.04.2014 auf ARTE.
Multinational in Finanzierung und Umsetzung
Dedio hat seine ersten Ideen dazu im Oktober 2009 skizziert. Ab 2010 hat ein internationales Team mehr als 1000 Tagebücher und Briefsammlungen recherchiert, hunderte Stunden Archivmaterial und tausende Fotos aus 70 Archiven in 21 Ländern wurden gesichtet, mehr als 20 Stunden Nitro-Film aufwändig in 2K digitalisiert und restauriert. 26 TV-Sender plus 26 weitere Finanzpartner wie Netflix, einen DVD-Vertrieb u.a. hat Dedio zusammengeführt; fast alle in den Krieg involvierten Nationen sind beteiligt. „14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges“ ist nicht nur in der Finanzierung, sondern auch im Erzählansatz ein multinationales Projekt; auch die Hauptfiguren stammen aus verschiedensten Ländern. Es sind Männer, Frauen, Kinder, an der Front und in der Heimat. Erzählt werden ihre individuellen Schicksale und persönlichen Erfahrungen, gestützt auf authentische schriftliche Zeugnisse.
Gunnar Dedio hat ein Faible für historische Stoffe. Wie schon in der preisgekrönten dokumentarischen Reihe „Damals in der DDR“ bevorzugt er „Geschichte von unten“: „Ich liebe es Geschichte zu erzählen über die Emotionen derer, die sie erleben. Krieg ist nicht nur der Krieg der Soldaten, schon gar nicht nur der Generäle: Krieg ist auch der Krieg der Schwestern, der Künstler, der Kinder…. Krieg ist überall.“ Einen Krieg, der die ganze Welt erfasst, über ein Ensemble an Protagonisten und multiperspektivisch zu erzählen, hält Dedio für angemessen: „Die eine Sicht, die für alle Nationen gilt, gibt es nicht.“ Anfangs versuchte das Autorenteam unter der Regie von Jan Peter noch den Anspruch auf Vollständigkeit und auch Ausgewogenheit zu erfüllen – alle kriegsbeteiligten Länder sollten mit Protagonisten vertreten sein. Sehr spät im Arbeitsprozess erfolgte eine radikale Reduktion auf 14 Hauptfiguren, allein ausgewählt nach emotionalen und dramatischen Geschichten. Ergänzt werden sie durch zahlreiche Nebenfiguren, die ebenfalls per Tagebucheinträgen oder Briefen vertreten sind. So entsteht ein vielstimmiger Chor in 23, auch exotischen Sprachen, wie Maori oder West-Armenisch.
Emotionales Erzählen
Unter den vierzehn Haupt-Protagonisten finden sich bekannte Namen wie Ernst Jünger und Käthe Kollwitz, aber auch Figuren wie die britischen Krankenschwester Sarah Macnaughton, die nach Belgien an die Front geht oder den italienischen Frontsoldaten Vincenzo D´Aqulia, der in der Psychiatrie landet. Ihre schriftlichen Zeugnisse werden dramatisch in Szene gesetzt. Die aufwändigen Spielszenen gehen über das konventionelle Re-Enactment hinaus; die Protagonisten werden zu Identifikationsfiguren aufgebaut, sie sprechen in die Kamera. Die DarstellerInnen sind hochgradig besetzt, stammen aus den jeweiligen Nationen, und sprechen ihre originalen Sprachen. In der deutschen Fassung werden sie –sehr untypisch für ein Primetime-Programm– nicht synchronisiert, sondern untertitelt.
„14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges“ folgt den Gesetzen des seriellen Erzählens: dramatische Handlung wird in aufeinander aufbauenden Episoden organisiert, eine Figur steht im Vordergrund, ihre Geschichte ist mit denen der anderen verschränkt. Jede einzelne storyline wie auch jede Episode folgt einem Spannungsbogen; cliffhanger verweisen auf die nächste Folge. Jede Folge hat einen thematischen Fokus: die Oberbegriffe lauten Verwundung, Sehnsucht, Heimat etc.; immer aber geht es um das subjektive Erleben der Einzelnen. Dedio sieht in dem Projekt denn auch weniger eine Doku-Serie, als ein Doku-Drama – eine neue Form, für die es kein Vorbild gibt: „Am Anfang weiß keiner, wo der Endpunkt ist. Wie sieht das Format denn wirklich aus? Wir gingen vom dem aus, was wir kannten, der Mischung von Nach-Inszenierung und Archivmaterial.“ Bei „14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges“ wurde erst spät umgesattelt auf die Form einer Drama-Serie, die zwar die Geschichten der Protagonisten mittels Szenischem und Archivmaterial erzählt, aber auf objektivierende Erzähltechniken wie Expertenstatements radikal verzichtet. Für den Produzenten eine riskante Entscheidung; spät im Zeitplan wurden die Drehbücher umgeschrieben, unkalkulierter Mehraufwand entstand. Noch ist das Projekt nicht end-abgerechnet; kalkuliert waren 6 Millionen Euro für die deutsche Fassung der Serie.
Dass es überhaupt möglich war, dieses Mega-Projekt zu stemmen, führt Dedio darauf zurück, dass es auch international ein Interesse an Geschichtsthemen gibt – „14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges“ wird von allen beteiligten Sendern zur prime-time ausgestrahlt. Aber: „Wichtig dass es einen Event-Charakter gibt, wie eine Anbindung an einen Jahrestag, der im allgemeinen Gedächtnis verankert ist. Und die Form ist entscheidend.“ Nicht jedes Geschichtsthema geht; die Zuschauer müssen emotional anknüpfen können: „Wir haben einen Film über Molotov gemacht. Dass das überhaupt geklappt hat, liegt daran, dass es einen Cocktail dieses Namens gibt. Für die historische Figur interessiert sich keiner“.
Multiple Verwertung
Um dokumentarische Vorhaben in der Größenordnung von „14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges“ überhaupt durchführen zu können, müssen die Stoffe vielfältig und multimedial ausgewertet werden. Dedio sieht seine produzentische Aufgabe neben der Ideenfindung vor allem auch darin entsprechende Partnerschaften zu schmieden, die eine solche Mehrfachverwertung ermöglichen: „Wir widmen uns einem Thema, versuchen das zusammen mit Fachleuten zu verstehen und zu durchdringen. Am Ende haben wir eine Menge Material, mit dem wir nicht nur verschiedenste slots, sondern auch unterschiedliche Kanäle bespielen können.“ So entstand durch das TV-Projekt auch die achtteilige Kinderserie „Kleine Hände, großer Krieg“, die den ersten Weltkrieg aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen zeigt, ebenfalls basierend auf Briefen und Tagebüchern. Flankiert wird die TV-Serie „14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges“, die für ARTE in acht Teile à 52 Minuten und für der ARD in vier Folgen à 45 Minuten formatiert wurde, durch zwei web-Auftritte: „1914-Tag für Tag“ ist eine interaktive Erzählung, „14-tagebuecher.de“ ein webspecial mit den 14 Protagonisten aus der Serie, ergänzt durch 14 Orte und 14 Fragen. Es gibt zwei Begleitbücher, eine DVD-Edition, ein sechsteiliges Hörspiel, die Filmmusik als CD. Und parallel zur Ausstrahlung läuft im Militärhistorischen Museum Dresden eine Sonderausstellung mit dem Titel »14 – Menschen – Krieg«, die auf der TV-Serie basiert. Eine möglichst breit aufgestellte Kooperation mit Partnern und die Auswertung in verschiedensten Formaten und Medien potenziert die Aufmerksamkeit und ermöglicht eine perfekte cross promotion - die in diesem Fall für einen TV-Produzenten allein niemals zu leisten ist: die Dresdener Ausstellung wird am Berliner Bendlerblock mit einem Mega-Poster beworben.
Im TV ausgestrahlt wird die Serie von ARTE (Federführung Ulrike Dotzer, NDR), ARD (Federführung Gerolf Karwath, SWR), der BBC und Sendern in Australien, Spanien, Portugal, Italien, Slowenien, Österreich, Tschechien, Holland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Irland. Dedio zitiert einen begeisterten niederländischen Kritiker, der sich während einer preview in einem „rollercoaster of emotion“ wähnte: „We are not supposed to understand history, but to live it ourselves.“ Damit ist aber schon die mögliche Kritik vorweggenommen - ob die historischen Zusammenhänge auf der Strecke bleiben, wenn man Weltkrieg im Fernsehen auf ein Kaleidoskop von Einzelschicksalen reduziert und als großes Gefühlskino inszeniert, wird sich zeigen. Ab 29.04. auf arte, 20:15 h.
Links:
TV-Serie 14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges
Trailer
webspecial
Ausstellung 14 – Menschen – Krieg
Webprojekt 1914, Tag für Tag