AG DOK - Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm e.V.
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TV-Broadcasting
ARD und ZDF präsentieren ihre Dokumentarfilm-Kompetenz
from 14.02.2014
... und meinen vor allem das Format-Fernsehen.
Bekanntgegeben wurde der Sieger im Rahmen der Veranstaltung „Top of the Docs“ im Rahmen der Berlinale 2014. Hier feierte sich die ARD selbst, und nutzte Bühne und Moderatorin Sandra Maischberger, um ihr Engagement im dokumentarischen Genre zu präsentieren: „In diesem Genre ist die ARD die Nr. 1 im deutschen Fernsehen. So soll es bleiben. Denn Dokumentarfilme und Dokumentationen gehören zum Kern unseres öffentlich-rechtlichen Auftrags", versicherte der ARD-Vorsitzende und NDR-Intendant Lutz Marmor. Oder: "Es ist eben nichts spannender als die Wirklichkeit und deshalb gehören Dokumentationen zum festen Bestandteil des Ersten.“, so Volker Herres, ARD- Programmdirektor. Unterfüttert wurden diese Bekenntnisse durch einen Trailer, der durch dokumentarische Produktionen des vergangenen Jahres jagt und die künftigen anreißt.
Flankiert wird die Präsentation durch 100 Seiten Hochglanzbroschüre, zur Eigenwerbung. Darin finden sich Bekenntnisse von Programmverantwortlichen, Filmbeschreibungen und ein paar Statistikspielereien, aus denen man jedoch keine langfristigen Tendenzen ablesen kann: 9092 Sendestunden sind 2012 im Ersten und in den dritten Programmen der ARD-Sender an Reportagen und Dokumentationen gelaufen. Das macht, so die Rechnung der ARD, plakative 25 Stunden pro Tag. Die zugehörige Grafik will sagen: mehr geht nicht! und damit allen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, die - wie die AG DOK - beständig die Verdrängung des Dokumentarischen aus den öffentlich-rechtlichen Programm beklagen. Leider scheut die ARD-Spitze einen Langzeit- wie auch Etatvergleich. Verbuchte die Sparte Reportage/Dokumentation/Bericht im Jahr 2004 noch einen Anteil von 12 Prozent im Ersten Programm, so waren es acht Jahre später nur noch neun Prozent. Während der Sport im Jahr 2010 einen Programmanteil von acht Prozent hatte, verbrauchte er mit ca. 450 Mio. Euro mehr als 27 Prozent des Etats der ARD. (Quelle: Heiko Hilker/dimbb)
Der Trailer bei „Top of the docs“ zeigt journalistische Dokumentationen, Reportagen, Dokudramen. Auch die Ergebnisse der Gewinner des letztjährigen Pitches wurden vorgestellt, sie bearbeiten anspruchsvolle Themen, fernsehgerecht aufbereitet: In „Betongold – Kaufrausch in Berlin“ von Holger Preuße und Andreas Wilcke (fernsehbüro GmbH) geht es um den Ausverkauf von städtischem Wohnraum, „Das gelobte Land – Deutschland provokant positiv!“ von Peter Scharf und Birgit Schulz (Bildersturm Filmproduktion GmbH) wagt einen ironischen Blick auf deutsche Identität. Der künstlerische Autorenfilm aber kommt bei „Top of the docs“ wie auch in der ARD nur vereinzelt vor – wenn überhaupt, dann als Kino-Koproduktion wie Marc Bauders „Master of the Universe“ (mit HR/SWR/ARTE) oder Inigo Westmeiers „Drachenmädchen“ (mit BR). Der überwiegende Rest besteht aus journalistischen Formen wie dem „Markencheck“ oder der „Story im Ersten“. Die wenigen, dafür aber umso stärker beworbenen Highlights sind sogenannte „Doku-Events“, wie die aufwändige internationale Ko-Produktion 14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges (Looks Film & TV-Produktionen, Budget: 6 Millionen Euro, 26 beteiligte TV-Sender) oder das zweiteilige Projekt Junges Deutschland . „14…“ erstellt anhand von 14 historischen ZeitzeugInnen eine „Mentalitäts-Geschichte“ des Ersten Weltkriegs, „Junges Deutschland“ schickt die Schauspieler Anna Maria Mühe und Kostja Ullmann auf Zeitreise durch die Jugendkulturen des 20. Jahrhunderts. Beide Projekte arbeiten mit Reenactments und stehen für den Trend zur inszenierten Realität. Ob George 2013 oder Rommel 2012, dokumentarische Stoffe laufen auch in der ARD nur in Form von Dokudramas zur Prime Time. Wer etwas anderes sehen will, muss später schlafen gehen.
Format-Experiment beim ZDF
Redaktionsleiterin Claudia Tronnier versichert, dass das Kleine Fernsehspiel trotz dieses Experiments sich auch weiterhin in Einzelstücken und Ko-Produktionen engagieren wird und für Einreichungen von Autoren und Regisseuren offen ist. Die Redaktion will mit „House of Love“ ein dokumentarisches Format ausprobieren, um hausintern einen früheren Sendeplatz zu ergattern, aber auch, um den beteiligten RegisseurInnen den Schritt ins Hauptprogramm zu ermöglichen. Auf die Form der „geschlossenen Veranstaltung“ angesprochen, sagte Tronnier, dass auf die letzte Ausschreibung des Kleinen Fernsehspiels „body bits“ 360 Einreichungen eingegangen waren; eine Anzahl, die für das Redaktionsteam schlicht nicht zu bewältigen sei.
Wer die Präsentation der ZDF-KollegInnen Lucia Haslauer und Lucas Schmidt bei der dfi-Tagung „Reclaim Television! Stoffentwicklung für dokumentarische Formate“ verfolgt hat, kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht nur um die Etablierung von Formatfernsehen geht, sondern auch um eine gravierende Verschiebung in der Herstellungspraxis – die initiale Idee wie auch die künstlerische Umsetzung liegt nicht mehr in den Händen/im Kopf der Autoren, Regisseure und kreativen Produzenten, sondern wird maßgeblich von der Redaktion bestimmt – und kontrolliert.
Und die Auswirkungen auf die Dokumentarfilmlandschaft? Während bei der ersten ARD-Ausschreibung 60 Ideen eingereicht wurden, waren es 2013 noch 42. Vor einem Jahr wurden insgesamt drei Preise vergeben, diesmal nur einer. Sind das Zeichen dafür, dass die Kreativen glauben, mit ihren Ideen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern keinen Erfolg mehr zu haben? Ob daraus ein Trend abzulesen ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.