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Fachsymposium Archivmaterial & Audiovisuelles Erbe

Vom 16.08.2016

from 16.08.2016

"Vergangenheit braucht Zukunft - Strategien für einen nachhaltigen Umgang mit dem audiovisuellen Kulturerbe Deutschlands"

Die AG DOK engagiert sich schon seit Langem für die Rettung des von Verfall und Vernichtung bedrohten analogen Filmerbes, etwa mit einer aufwendigen Rettungsaktion von ca. 20.000 Filmdosen des insolventen Kreuzberger Filmkopierwerks "Film- und Videoprint", die im Sommer 2014 begann und in der Nachbereitung bis heute andauert. AG DOK-Vorstands-Mitglied Dr. Thorolf Lipp hat nun als stellvertr. Sprecher der Sektion Film, Rundfunk und audiovisuelle Medien im Deutschen Kulturrat ein hochkarätig besetztes Fachsymposium zum Thema Archivmaterial & Audiovisuelles Erbe initiiert, das am 8. Juli 2016 in Berlin stattfand und mit über 150 TeilnehmerInnen auf große Resonanz innerhalb der gesamten Fachcommunity stieß.

Inhaltlich gliederte sich das Symposium in drei Panels, die sich von der Frage, warum das audiovisuelle Erbe überhaupt aufbewahrt werden soll (Block A) über die Möglichkeiten der Sichtbarmachung und öffentlichen Nutzbarkeit dieses Erbes (Block B) bis zu möglichen Strategien und Technologien des Aufbewahrens (Block C) erstreckten. Im Folgenden werden einige Themenschwerpunkte herausgegriffen, die auf allen drei Podien diskutiert wurden.


PwC Gutachten - Strategie für die Zukunft?

Einen zentralen Bezugspunkt der Diskutanten bildete eine Passage im aktuellen schwarz-roten Koalitionsvertrag, die das Filmerbe namentlich behandelt. Es ist das erste Mal, dass das Filmerbe Bestandteil eines deutschen Regierungsprogramms ist. Klares Signal dafür, dass nach vielen Jahren teils ziellosen Herumdebattierens die Bedeutung und Dringlichkeit des Themas endlich im politischen Bewusstsein angekommen sind. In der entsprechenden Passage heißt es: „Unser nationales Filmerbe muss dauerhaft gesichert und auch im digitalen Zeitalter sichtbar bleiben.“

Auf Anregung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters – in deren Ressort dieses Thema fällt – gab die FFA als einen ersten Schritt die Studie „Kostenabschätzung zur digitalen Sicherung des filmischen Erbes“ bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) in Auftrag, deren Ergebnis im Juli 2015 veröffentlicht wurde. Die hier formulierten Ziele und Maßnahmen weisen einerseits durchaus in die richtige Richtung und landen bei der Gesamtkostenschätzung für die anstehende Filmdigitalisierung ziemlich genau bei der Summe von 500 Mio. EUR, die auch von der Inititiative "Filmerbe in Gefahr" seit 2013 ins Spiel gebracht wurde. Die Zahl, für die die Hauptakteure der Initiative seither von den verschiedensten Seiten immer wieder angefeindet wurden, ist nun also prinzipiell auch bei der Bundesregierung angekommen.

Umso verwunderlicher erscheint es, dass im Gutachten zunächst lediglich empfohlen wird, eine Summe von 10 Mio. EUR pro Jahr für einen Zeitraum von zehn Jahren in den Bundeshaushalt einzustellen. Also lediglich 20% des rechnerisch notwendigen Betrages. Schreitet man in diesem Tempo voran, dann wird allein die blosse Digitalisierung des derzeit schon in den Archiven lagernden Filmerbes annähernd 50 Jahre dauern.

Tatsächlich jedoch ist die Herausforderung weit umfassender als die bloße Digitalisierung. Ein eklatantes Problem besteht darin, dass das deutsche Filmerbe – mangels eines zentralen Archivs – weit verstreut ist; große Teile liegen bei den drei Kernmitgliedern des Kinematheksverbunds, bedeutende Teile aber auch bei den kooptierten Mitgliedern, wiederum andere bei zahlreichen kleineren und größeren Archiven sowie bei Privatsammlern.
Im Bereich des Nonfiktionalen Films ist die Situation noch verfahrener. Zumindest die westdeutsche Dokumentarfilmszene ist, aufgrund der föderalen Strukturen der Bundesrepublik und der sowohl kulturell als auch zur Sicherung des Meinungspluralismus gewollten Vielfalt der Produzentenlandschaft, überaus lebendig und heterogen – daher aber auch kleinteilig und unübersichtlich.

In der alten Bundesrepublik haben seit den 1950er Jahren weit über tausend kleinere Produzenten Filme auf analogen Trägermaterialien hergestellt. Was gut war für die kulturelle Vielfalt in der Bundesrepublik stellt sich nun als problematisch für die Bewahrung dieser Überlieferungen heraus. Da diesen vielen kleinen Produzenten in aller Regel die finanziellen Mittel für eine systematische Aufarbeitung ihrer Bestände fehlen, ist ein Großteil davon archivarisch nicht erfasst und lagert, oft unter ungünstigen Bedingungen, in den Privaträumen der Akteure.

Von einer verlässlichen Übersicht über diese Vielfalt, geschweige denn von einem Gesamtkatalog des deutschen Filmerbes, kann daher keine Rede sein. Ein Umstand, den etwa Claudia Dillmann vom Deutschen Filminstitut aufgriff in dem sie anmerkte, man habe inzwischen sogar begonnen, Überlieferungen von Hobbyfilmern zu sammeln, da auch diese einen wichtigen Teil der Gesamtüberlieferung darstellten.

Folgerichtig lautete das Thema des Symposiums dann auch nicht "Digitalisierung des Filmerbes", sondern es ging um die Frage eines nachhaltigen Umgangs mit diesem Erbe. Eine Gesamtstrategie müsste her, aber davon ist man nach wie vor weit entfernt, wie nicht nur der Präsident des Bundesarchivs, Dr. Michael Hollmann, oder die Vertreter der Stiftung Deutsche KinemathekDr. Rainer Rother und Prof. Martin Koerber, anmerkten. Zu einer solchen Geamtstrategie würde tatsächlich weit mehr zählen, als das – ohnehin schon komplexe und anspruchsvolle – Herstellen von Digitalisaten. Es kommen vielmehr eine Reihe weiterer Aufgaben hinzu, etwa:

  • Aufspüren von bislang unbekannten Beständen in öffentlichen Einrichtungen, Firmen- und Privatarchiven

  • Erfassen dieser Bestände und dazugehöriger Begleitmaterialien. Klärung der Urheber- und Leistungsschutzrechte innerhalb der Bestände

  • Digitalisieren nach derzeit allerdings immer noch nicht existenten standardisierten Verfahren

  • Erschließen durch strukturierte Aufarbeitung und Bereitstellung der vorhandenen Metadaten bis zur Verschlagwortung der Inhalte

  • Gewährleistung der Zugänglichkeit bzw. Auswertung durch Rechte-Abbildung (wer sind die beteiligten Urheber und Leistungschutzberechtigten, wer vertritt deren Verwertungsrechte? Wie kann die weitere Nutzung ermöglicht werden?)

  • Sofern dies unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten möglich ist: Verfügbarmachung zur Metadaten-Anreicherung,  zur mehrstufigen Verwertung, zu Forschungszwecken (nicht kommerziell, kommerziell) ggf. online, in Ausschnitten oder als ganzes Werk. Gerade wenn deren ursprüngliche Entstehung mit öffentlichen Geldern gefördert wurde, sollten Überlieferungen der Forschung, sowie der Kunst- und Kulturproduktion geöffnet werden, damit kulturelle Impulse entstehen können.

  • Steigerung der Sichtbarkeit des audiovisuellen Erbes über Gedächtniseinrichtungen und deren elektronische Dependancen sowie weitere Medienkanäle – ggf. auch einen (kuratierten) öffentlich-rechtlichen Archivkanal (TV) oder eine entsprechende (kuratierte) Plattform (Web).

So sehr das PwC Gutachten also ein erster Schritt in die richtige Richtung ist, so wenig kann man insgesamt zufrieden sein: eine Gesamtstrategie fehlt, der angesetzte Betrag von 10 Mio EUR pro Jahr ist insgesamt zu niedrig, noch nicht einmal deren Bewilligung ist bislang gesichert, und die Entscheidungswege darüber, welche Filme denn nun vordringlich zu digitalisieren seien, sind immer noch unklar. Das Projekt "Zukunft für die audiovisuelle Vergangenheit" behält so also lediglich vorläufigen und nicht konsequent zu Ende gedachten Projektcharakter.


Vernichtung der Originale zur Kosteneinsparung?

Die im PwC Gutachten in Kapitel 6.1 angedeutete Option der Kassation zur Kostenersparnis wurde von allen Podiumsteilnehmern ausnahmslos widersprochen. Auf der Veranstaltung kristallisierte sich vielmehr als einhelliger Konsens heraus, dass langfristig alle analog vorliegenden Filme im Original zu bewahren sind. In diesem Kontext muss allerdings kritisch angemerkt werden, dass das Bundesarchiv/ Filmarchiv bereits aktiv begonnen hat, analoge Filmtechnik aufzugeben, eine Tendenz, die viele Diskutanten äußerst bedenklich finden, da so bereits mittelfristig das entsprechende analoge Handwerk verloren zu gehen droht. Es wird nicht mehr ausgebildet, aber auch Ersatzteile für Maschinen sind nicht mehr zu bekommen und ganze Maschinenparks, etwa Kopierstrecken, wurden abgeschafft.
Für die Digitalisierung heißt das, dass die Zeitspanne, in der es noch Fachleute gibt, die analog restaurieren, Farbabstimmungen für das Digitalisat vornehmen und den Ton fachgemäß übertragen können, begrenzt ist.
Eine Vertreterin des österreichischen Bundeskanzleramts berichtete hingegen, dass ihre Regierung gerade den gesamten Bestand eines schließenden Kopierwerks aufgekauft habe, damit Filmschaffende weiter die Möglichkeit haben, in analoger Technik zu arbeiten. In London, warf ein weiterer Konferenzteilnehmer ein, habe just sogar ein analoges Kopierwerk neu eröffnet. Die Technik war auch ein Thema als es um die Ausstattung der Kinos ging, die meist keine 16mm Filme mehr vorführen können und oft auch nicht mehr über 35mm-Projektoren verfügen.


Ein verbindlicher Datenstandard?

An der Digitalisierung analoger Filme führt kein Weg vorbei, da nicht digital vorliegende Audiovisionen im digitalen Zeitalter im kulturellen Gedächtnis schlicht nicht mehr sichtbar sind. Eine hochwertige Digitalisierung macht in Hinblick auf die Langfristsicherung nur dann Sinn, wenn ein einheitlicher Datenstandard gefunden wird, der erstens die Leistungsfähigkeit von analogen Trägermaterialien erreicht oder übertrifft und der zweitens zukunftssicher weil verbindlich für alle, zumindest aber für die überwiegende Mehrzahl, der Akteure ist. Hier konnte Dr. Siegfried Fössel vom Fraunhofer Institut mitteilen, dass im Rahmen der European Broadcastin Union EBU mit Hochdruck an einem europäischen Datenstandard gearbeitet wird, der beide Ziele erfüllen soll.


Fazit

Die breite fachliche Mischung der VertreterInnen in den Panels stellte einen großen Pluspunkt der Veranstaltung dar. Nicht nur Vertreter so gut wie aller wichtigen Filmarchive, des Bundesarchivs und der öffentlich-rechtlichen Anstalten, sondern auch unabhängige  Produzenten, Filmwissenschaftler, Technikentwickler und technische Dienstleister speisten ihre Perspektiven in die Debatte ein.

Deutlich wurde im Verlauf des Symposiums immer wieder, dass die Sicherung des Filmerbes sich nicht auf Fragen der Digitalisierung beschränken lässt, sondern stetige Anstrengungen erfordern wird, die eine breite Wahrnehmung und intensive Diskussion braucht. Alle Redebeiträge des Symposiums sind nachzuhören über die Links am Ende dieses Berichts.

Die Stellungnahme der Sektion Film, Rundfunk & Audiovisuelle Medien im Deutschen Kulturrat, deren Mitglied die AG DOK ist, kann hier eingesehen werden. Kommentare dazu sind sehr willkommen, bitte per Email an Thorolf Lipp, Mitglied im Vorstand der AG DOK, Urheber der Stellungnahme uns Initiator des Symposiums (lipp@arcadia-film.de).

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Hier gehts zu einem:
- Interview mit dem Symposium-Organisator Dr. Thorolf Lipp zum Thema Film-Archive auf Deutschlandfunk.de vom 08.07.2016

Hier zwei weitere Berichte über das Symposium:
- in der Freitag vom 27.07.16
- und auf der Website von ver.di vom 12.07.16

Weitere Beiträge zum Thema auf agdok.de:
- 500 Filme sind zu wenig!
  AG DOK mahnt andere Prioritäten im Umgang mit dem audiovisuellen Erbe an
- „Unser Filmerbe braucht uns – jetzt!“ -
  Eine Broschüre, der AG DOK zusammen mit der Fachzeitschrift Film- und TV-Kameramann
AG DOK rettet ein Stück Zeit- und Filmgeschichte
  20.000 Filmdosen des Kreuzberger Filmkopierwerks "Film- und Videoprint" ins Bundesarchiv überführt
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Audiomitschnitt Panel 1
- Inhalt:

Grußworte:
Dr. Gunnar Schellenberger – Staatssekretär für Kultur Sachsen-Anhalt
Prof. Christian Höppner – Präsident des Deutschen Kulturrates
Dr. Thorolf Lipp – stellv. Sprecher der Sektion Film, Rundfunk und audiovisuelle Medien im Deutschen Kulturrat, AG DOK Vorstandsmitglied

Podium 1:
Wozu überhaupt aufbewahren? Zur Bedeutung des audiovisuellen Erbes für eine vitale Bürgergesellschaft

Leitfragen:
Warum überhaupt aufbewahren?
Wert des Vergessens – kulturwissenschaftliche Perspektiven?
Was aufbewahren?
Was sind die Positionen der Fraktionen?
Was ist wünschenswert, was machbar?
Bund und Länder – wer ist wofür zuständig?

Dr. Dietrich Reupke
 – Leiter des Referates "Medien" in der Berliner Senatskanzlei
Tabea Rößner MdB – Sprecherin für Medien, Kreativwirtschaft und Digitale Infrastruktur (Bündnis 90/ Die Grünen)
Harald Petzold MdB – Medienpolitischer Sprecher der Linksfraktion
Dr. Rainer Rother – Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek
Dr. Dirk Alt – Filmhistoriker
Jeanpaul Goergen – Filmhistoriker
Dr. Michael Hollmann – Präsident des Bundesarchivs
MODERATION: Dr. Thorolf Lipp


Audiomitschnitt Panel 2
- Inhalt:

Podium 2:
Audiovisuelles Erbe sichtbar machen: traditionelle Strategien und innovative Ansätze

Leitfragen:
Neue Strategien für die öffentliche Sichtbarkeit?
Können Archive Geld verdienen?
Haushaltsbeitrag – Einrichtung eines ö/r Archivkanals?
kuratierte Filmprogramme?
public-private Partnership?

Cay Wesnigk –
Online Film AG
Ernst Szebedits – Murnau Stiftung
Hermann Pölking-Eiken – Helden der Geschichte
Claudia Dillmann – Deutsches Filminstitut e.V.
Thorsten Pollfuss – Epoche Media
Frank Adam – Leiter SWR Archiv
MODERATION: Prof. Dr. Chris Wahl – Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf


Audiomitschnitt Panel 3
- Inhalt:

Podium 3:
State of the Art des Aufbewahrens: Strategien und Technologien

Leitfragen:
Grundsatzfrage: Digitales oder analoges Langzeitarchiv?
Das Zusammenspiel der Institutionen?
Datenstandard?
Kosten?

Dr. Michael Hollmann
Präsident des Bundesarchivs
Prof. Martin KoerberDeutsche Kinemathek
Dr. Siegfrid FösselFraunhofer Institut
Josef ReidingerGeschäftsführer ARRI Media GmbH & Vorstand VTFF
Dr. Rainer SchäferIRT
MODERATION: Prof. Barbara FlückigerUniversität Zürich UZH

Schlußworte:
Dr. Thorolf Lipp – Stellvertr. Sprecher der Sektion im Deutschen Kulturrat

 

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