AG DOK - Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm e.V.
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AG DOK-Inselfilmer
Das 2017er-Treffen - ein Bericht
from 01.03.2018
Freitag, 24. November 2017 gegen 17Uhr:
Zur Ankunft auf der Fraueninsel am Chiemsee, starten wir direkt mit dem gemeinsamen Abendessen in der Linde, da die Teilnehmer vereinzelt (aus ganz Deutschland) erst am späteren Abend ankommen, zum Teil sogar noch mit dem Nachttaxi. Mit dabei sind dieses mal 22 Personen - AG DOK-Mitglieder sowie befreundete Nicht-Mitglieder (gefühlt werden wir jedes Jahr mehr, was großartig ist!;-))
Nach dem Abendessen flimmert ab 20.45 Uhr die erste Dokumentation dieses inzwischen schon traditionsreichen Wochenendes über die Leinwand.
Klappe, die 1.: "Fahr ma obi am Wasser" von Walter Steffen (Produzent und Regisseur), 95 Min, 2017.
In dem Film geht es um die Flößerei entlang der Isar, die Historie eines traditionsreichen Handwerks bis in die heutige Zeit mit seinen Waren und Musikern, die typisch für die Region sind.
Der Film wurde nicht von einem Sender, sondern alternativ über Kommunen und Sponsoren
und zusätzlich über DVD-Verkauf finanziert.
Walters Film wird überwiegend gut bewertet und bietet einen imposanten (bayerischen)
Einstieg in dieses Wochenende: Schöne Bilder, tolle Protagonisten, die sicher nicht leicht
„zu knacken“ waren, schöne historische Fotos und interessante Animationen zur Visualisierung
der Historie.
Lediglich „Musik“ und „Dramaturgie“ schneiden nicht ganz so gut in der Wahrnehmung
der Teilnehmer ab und bieten die Basis zur weiteren Diskussion in gemeinsamer Runde:
Ausklang des Abends bei Tee, Wein und weiterem Austausch.
Samstag, 25. November 2018, 8Uhr:
22 Personen bereiten gemeinsam das Frühstück in der Selbstversorgerküche des Klosters her. Eine ordentliche Grundlage für die ersten Filme des neuen Tages.
Klappe, die 2.: „Sarah Murphy“, Solotanzfestival 2016 von Sabine Mahr-Haigis (Schnitt), 8 Min.
In dem dokumentarischen Kurzfilm tanzt eine Tänzerin (Sarah Murphy) ihre selbst ausgedachte Choreographie. Der Film soll ihren Tanz zeigen, ihre Emotionen widerspiegeln und den Zuschauer in ihren Bann ziehen.
Sabines Film wird insgesamt als gut bewertet. Die Tänzerin wird von zwei Kameras aufgenommen, einer der Kameramänner ist ebenfalls Tänzer und bewegt sich mit der Protagonistin.
Ist die bewegte Kamera ein Problem? Zu viel? Bringt sie einem die Protagonistin und ihre Bewegungen näher oder lenkt sie ab? Hätte die Kamera statisch sein sollen? Die Teilnehmer haben großen Respekt vor dem Schnitt des Films, der den Inhalt des Tanzes gut erzähle.
Klappe, die 3.: „Meine Mutter ist im Knast“ von Kai von Westerman (Kameramann), Rohschnitt, 55 Min
In dem Film geht es um Kais Mutter, die sich in ihrem Leben um Gefängnisinsassen kümmert, die keine Angehörigen haben. Sie erzählt von ihrem Leben (Oral History) und der Geschichte der Knastis aus ihrer Perspektive, zeichnet sie dabei auf Papier.
Kais Film wird als beeindruckend empfunden. Insbesondere der Gesamteindruck, die Protagonistin und die Dramaturgie ernten Beifall. Da es sich um einen Rohschnitt handelt, werden die bisherige Basis sowie weitere Gestaltungsmöglichkeiten diskutiert:
Zeichnung des Gesichts des „Haupt-Protagonisten“ sei ein wichtiger, emotionaler und dokumentarischer
Bestandteil des Films.
Ebenso die Briefe zwischen Kais Mutter und den Gefängnisinsassen; sie werden mit der Kamera abgeschwenkt, nicht vorgelesen. Schönes Stilmittel, der Zuschauer liest Briefe selber, als ob er Teil der Geschichte wäre.
Reenactment braucht der Film nicht.
Kann Talking Heads 90 min (geplante Dauer) funktionieren? Im Film ginge es schließlich um sie und ihre Knastarbeit.
Braucht der Film Schnittbilder? Sie in ihren Alltagssituationen zu zeigen (bspw. bei der Zubereitung des Tees) sei sehr gut.
Der Film wird als guter Festivalbeitrag empfunden.
Klappe, die 4.: „Das Coltan-Projekt des Theater im Bauturm“ von Christian Hennecke (Regie), 30 Min
Der Film zeigt die Erarbeitung und Aufführung eines Theaterstückes, in dem es um das Schürfen und den politischen Kampf um den Rohstoff Coltan im Kongo geht, der in Elektrogeräten verbaut wird. Erzählt wird das Theaterstück und der Film anhand der Geschichte vom ehemaligen Kindersoldat Yves.
Der Film, der den Arbeitsprozess am Theaterstück sehr nah dokumentiert, wird von den Teilnehmern überwiegend als positiv wahrgenommen. Insbesondere Regie und Gesamteindruck. Durch eine Überarbeitung des Schnittes könnte eine noch bessere Dramaturgie
entstehen.
In der Diskussion kommen Fragen auf:
Wer ist die Zielgruppe des Filmes? Welche Geschichte wird hier erzählt? Der Film zeige „lediglich“ die Chronologie auf.
Der Film hat das Potential aufzuzeigen, was Theater zu leisten vermag. Was kann ein Film über ein Theaterstück darüber hinaus leisten?
Es handele sich um ein hochpolitisches Thema, das jedoch zu wenig eingeordnet wird - es könnten mehr Bilder aus dem Kongo gezeigt werden.
Klappe, die 5.: „Ein Forschungsprojekt für Studenten mit dem Ziel den öffentlichrechtlichen Rundfunk in Deutschland zu relaunchen“ (innovative Forschungsmethode) von Andi Stiglmayr (Filmemacher) und Annika Hoch (Autorin)
Das Forschungsprojekt, das als Seminararbeit an einer Universität vorstellbar ist, soll zur praktischen Umstrukturierung des ö-r Rundfunks beitragen, indem Studenten in Aktion herausfinden, welchen Auftrag der ö-r Rundfunk in Bezug auf Bildung, Information und Kultur (noch) hat, welche Aufgaben der Journalismus künftig lösen muss und wie Bildung und Lernmethoden an Universitäten heutzutage erfolgreich verändert werden sollten und damit zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen können. Zusätzlich soll eine filmische Dokumentation über das Forschungsprojekt entstehen.
Das Forschungsprojekt befindet sich noch in der Entwicklung und dient als Diskussionsgrundlage.
Klappe, die 6.: „Big Eyes on the Skies“ von Martin Hans Schmitt (Filmemacher), 52 Min
Eine wissenschaftliche Dokumentation über die größten Teleskope der Welt. Das Filmmaterial besteht aus Footage der Europäischen Südsternwarte (ESO), der NASA und kommerzieller Footage-Archive, legt die Funktionsweise sowie den Bau der Teleskope dar und beleuchtet ihre Auswirkungen auf die Erforschung des Universums.
Die Teilnehmer bewerten den Gesamteindruck als überwiegend positiv. Die Dramaturgie wirft Fragen zur Diskussion auf:
Für Fans von Ultra-HD-Filmen sei der Film stimmig, weniger jedoch für die, die über einen populärwissenschaftlichen Film hinaus informiert werden wollen.
Die Musik empfinden manche als zu dominant, andere hingegen als passend und abwechslungsreich.
Klappe, die 7.: „Cool Mama“ von Peter Heller (Produzent und Regisseur), 78 Min
Eine dokumentarische Langzeitbeobachtung zeigt eine unkonventionelle Beziehung zwischen der Münchner Modemacherin Ann und dem Nigerianer Akin und die Entwicklung zweier Leben, als Akins Jugendliebe und Zweitehefrau mit Kindern zu den beiden nach Deutschland zieht.
Die Teilnehmer bewerten den Film positiv, insbesondere die Dramaturgie und der Gesamteindruck.
Die Protagonisten polarisieren sehr stark in der anschließenden Diskussion:
Peter Heller hat eine gute Ausdauer über einen Zeitraum von 15 Jahren bewiesen - ist an der Geschichte dran geblieben.
Der Abend endet im intensiven Austausch zu den bisherigen Filmen und deren Machern bei gutem Wein.
Sonntag, der 26. November 2017, 08.30Uhr:
Ein letztes gemeinsames großes Frühstück bevor die letzten Filme und die voller Spannung zu erwartende Verleihung der Güldenen Renke anstehen.
Klappe, die 8.: „Die Schulkameradinnen“ von Sabine Willmann (Regisseurin und Autorin), Trailer 6 Min
Ein Trailer zu einer geplanten Dokumentation über Freundinnen und ihrem Lebensverlauf, die gemeinsam eine Mädchenschule besuchten. Die Filmemacherin ist Teil der Frauengruppe.
Die Teilnehmer beurteilen Regie, Protagonisten und Gesamteindruck als sehr positiv.
Die Kameraarbeit bietet schließlich die Grundlage für die anschließende Diskussion:
Kamera sei untersichtig, unruhig, wirke wie eine Überwachungskamera. Die entschlossene Subjektivität möglichst als erzählerisches Mittel einsetzen, das sich in der Dramaturgie wiederfindet. Wie wird das private Wort zu einem persönlichen?
Klappe, die 9.: „Clowns ohne Grenzen“ von Walter Steffen (Produzent und Regisseur), Trailer
Ein Trailer zu einer Dokumentation, die Clowns im Iran begleitet, traumatisierten Kindern das Lachen zurückzugeben.
Der Trailer habe laut der Teilnehmer tolle Momente unauffällig eingefangen. Persönlichkeit noch stärker über O-Töne einbringen
Klappe, die 10.: „Die Kunst, ich zu sein“ von Annika Hoch (Autorin und Regie), Trailer 4 Min
Ein Trailer zu einer Dokumentation, die eine Künstlerin begleitet, die zwischen Gastarbeitern und Rückkehrern, zwischen Anpassung und Identitätssuche versucht sich ihre Heimat und ihren Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen.
Die Teilnehmer empfinden die Protagonistin als stark, das Thema als wichtig.
Was ist ihre Stimulation? Was ihr Impuls? Wie bewältigt sie ihr Trauma? Verändern sie und ihre Kunst sich?
Klappe, die 11.: „Die Silicon Valley-Revolution“ von Jan Tenhaven (Autor und Regisseur), 90 Min
Eine Dokumentation, die zeigt, wie chaotische und kreative Pioniere den Heimcomputer entwickelten und mit ihren Visionen die Welt veränderten.
Die Teilnehmer bewerten den Film als überwiegend positiv.
Jan Tenhaven hat interessante Hintergrundgeschichten und bisher unbekannte Protagonisten gefunden. Zudem hat er schöne visuelle Wege gefunden, die Protagonisten einzuführen.
Ist das Tempo des Filmes zu rasant oder dem Thema entsprechend?
Entspricht der Ton des Films dem amerikanischen Pioniergeist oder könnte er für ein deutsches Publikum als zu dominant empfunden werden?
Nach einem sehr intensiven Wochenende voller starker Filme und Ideen, wird final und anonym abgestimmt: Moderiert wird die feierliche Verleihung der Güldenen Renke von Christian Doermer. Nominiert sind:
1. Sabine Mahr-Haigis (Schnitt): „Sarah Murphy“.
2. Jan Tenhaven (Autor und Regisseur): „Die Silicon Valley-Revolution“
3. Kai von Westerman (Kameramann): „Meine Mutter ist im Knast“
Gewonnen hat nach vielen Jahren regelmäßiger Inselteilnahme Kai von Westerman die Güldene Renke 2017, was alle sehr freut. Herzlichen Glückwunsch für diesen genialen Film - wir sind gespannt auf das finale Ergebnis bei der nächsten Insel!
Danke Euch allen für die tollen Filme und die anregenden und konstruktiven Diskussionen. Einen großen Dank auch an die beiden Fabians: Fabian Feiner für die regelmäßige Stellung und Betreuung der gesamten Technik und Fabian Hentzen in jedem Jahr für die Organisation dieses coolen Wochenendes. Wir freuen uns auf das Inselwochenende 2018, vom 23.-25. November.