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Mia Market 2024

Filmproduzentin und Creative Producerin der GA&A Productions Gioia Avvantaggiato im Interview

from 19.11.2024

 

Von Carmen Té.

Der International Audiovisual Market MIA feierte in diesem Jahr sein 10. Gründungsjubiläum. Vor der filmgeschichtlich bedeutenden Kulisse der Via Veneto, in der Fellini Szenen seines Films „La Dolce Vita“ drehte, feierte man vom 14. bis 18. Oktober 2024 in Rom einen ganz besonderes Branchentreff.

Die zahlreichen internationalen und italienischen Gäste diskutierten spannende Themen – nicht zuletzt die ewige Frage der sozialpolitischen Bedeutung des Dokumentarfilms. Im Zeitalter der Fake News und Social Media eine besonders relevante Frage. Darüber hinaus standen internationale Koproduktionen im Fokus der Diskussionen bzw. Überlegungen, wie Koproduktionen mit italienischen Firmen gelingen können.
Zu diesen Themen stand Gioia Avvantaggiato zur Verfügung, um ihre Sicht auf die Dinge darzustellen. Avvantaggiato ist eine der erste Frauen, die in den 1990er Jahren in Rom eine eigene Dokumentarfilmproduktion gründete, und diese bis heute erfolgreich als Geschäftsführerin und Creative Producerin leitet.

Gioia Avvantaggiato hatte in den 1980er Jahren beim öffentlich-rechtlichen Sender RAI in der Abteilung Vertrieb ihre berufliche Karriere begonnen; unmittelbar im Anschluss sammelte sie im Bereich internationale Koproduktionen bei verschiedenen Filmproduktionen Erfahrungen.
Heute ist ihre GA&A Filmproduction für die Realisierung, Produktion und den Vertrieb von Dokumentarfilmen aller Genre zuständig. Avvantaggiato und GA&A Filmproduction sind seit Jahren bekannt dafür, immer wieder erfolgreich mit neuen Bild- und Erzählformen zu experimentieren. Sie konzentriert sich auf internationale Koproduktionen und stellt die meisten Dokumentarfilme gemeinsam mit internationalen Partnern aus Nord-Amerika und der Europäischen Union (Deutschland, Frankreich, England) her.

 

Carmen Té: Warum sollten AutorInnen und ProduzentInnen von Dokumentarfilmen unbedingt den Mia Market in Rom besuchen?

Gioia Avvantaggiato: Der Mia Market ist in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen. Trotzdem hat er sich seine sehr persönliche Atmosphäre bewahrt, dank derer die TeilnehmerInnen perfekte Möglichkeiten haben, direkt und unkompliziert mit internationalen AnsprechpartnerInnen u.a. auch mit Commissioning Editors ins Gespräch zu kommen. In dieser entspannten Umgebung ist es deutlich leichter, die Zusammenarbeit für gemeinsame Projekte zu starten.

CT: In vielen Veranstaltungen und Panels spricht man von internationalen Koproduktionen. Tatsächlich aber sind nur wenige deutsche Filmproduktionen bereit, dieses “Abenteuer” einzugehen. Wie kann man die deutsche ProduzentInnen motivieren, eine internationale Koproduktion (mit Italien) einzugehen?

GA: Leider verzichten die meisten ProduzentInnen aus Frankreich, Spanien oder England immer häufiger auf internationale Koproduktionen. Das ist leider zur Normalität geworden. Die ProduzentInnen versuchen, vor allem auf ihren heimischen Märkten erfolgreich zu sein. Hinzu kommt, dass die Broadcasters bzw. die Sender ihren Blick immer stärker lokal ausrichten; sie zielen meist auf die Emotionen der ZuschauerInnen ihres Landes, die sie zu kennen glauben.
Daneben wird es jedoch immer den Typus von ProduzentInnen geben, die den Anspruch haben, ihre Erzählung und ihren Blick zu weiten. Das bedeutet leider auch, dass diese KollegInnen zunächst höheren Kosten haben. Doch wenn man immer nur lokal produziert, riskiert man auch, dass der nationale Markt stagniert oder sogar kleiner wird.
Eine internationale Koproduktion ist auf jeden Fall eine Herausforderung, bei der die größte Aufgabe darin liegt, eine Geschichte zu erzählen, die international Interesse weckt. Deshalb besteht am Anfang die Arbeit vor allem darin, eine Geschichte zu finden, die entweder mehrere Länder betrifft oder die international in der Berichterstattung war.
An einer internationalen Koproduktion ist der unvoreingenommene Blick auf ein lokales Geschehen besonders wertvoll bzw. die kulturelle Vielfalt der lokalen Erzählungen wird zur Bereicherung. Deshalb entsteht meiner Meinung nach aus einer internationalen Koproduktion immer das bessere Produkt als sich das durch eine Produktion realisieren ließe, die ausschließlich aus einem lokalen Markt heraus hergestellt wurde.

  

CT: Wie kann man eine italienisch-deutsche Koproduktion starten bzw. angehen? Wie lange dauert eine internationale Koproduktion in der Regel?

GA: Um eine Koproduktion mit Italien realisieren zu können, sollte zunächst der deutsche Produzent eine italienische Filmproduktion mit dem Ziel auswählen, das Projekt gemeinsam zu planen und später Zusammen zu produzieren. Es sollte schon frühzeitig geklärt werden, was eine solche Koproduktion für die Partner genau bedeutet. Diese Klärung ist deshalb wertvoll, weil in den letzten Jahren die Bedeutung einer internationalen Koproduktion aus dem Blick geraten ist.
Es ist wichtig, dass man sowohl im inhaltlichen als auch im finanziellen Bereich zusammenarbeiten will. Weder sind alle Projekte für eine internationale Koproduktion geeignet noch sind alle Produzenten für ein solches ambitioniertes Projekt passend.
Man muss sich gut verstehen und vertrauen, man braucht ein ähnliches emotionales Empfinden. Dazu ist die Bereitschaft unabdingbar, Pflichten – aber am Ende auch Freude am Produkt – teilen zu können.
Der nächste Schritt ist, dass die ProduzentInnen das kreative internationale deutsch-italienische Team aufbauen. Die Teammitglieder sollen aus beiden Ländern kommen. Parallel dazu müssen die ProduzentInnen zusammen eine finanzielle Strategie entwickeln und dabei berücksichtigen, welche Sender zum Projekt passen. Und da der Mia Market in Rom stattfindet, ist es der idealer Ort, um hier die meisten italienische FilmproduzentInnen zu treffen.
Die Produktionszeit einer internationalen Koproduktion dauert länger als eine rein national aufgesetzte Produktion. Durchschnittlich erfordert eine internationale Koproduktion ca. 18 Monate.

CT: Welche Vertriebswege sind für eine deutsch-italienische Koproduktion geeignet: Kino, Fernsehen mit den jeweiligen Mediatheken oder beides?

GA: Eine deutsch-italienische Koproduktion sieht die Beteiligung der jeweiligen öffentlich-rechtlichen Sendern vor. Deshalb sollte der übliche audio-visuelle Vertrieb auch über die Sender laufen. Wenn die Filmsprache eines Dokumentarfilms sich auf eine internationale Ebene entwickelt, ist es gut möglich, dass der Dokumentarfilm von weiteren ausländischen Sendern in und außerhalb Europas gekauft wird.

 

CT: Welche Bedeutung hat der Dokumentarfilm ganz grundsätzlich in der Gesellschaft?

GA: Der audio-visuelle Bereich erlebt derzeit tiefgreifende Veränderungen: es ändern sich die Kommunikationsmittel, die Sprache der Kommunikation sowie die Nutzungswege der audio-visuellen Inhalte. Die neue (Online-)Kanäle, die direkt von vielen privaten Sendern betrieben werden, haben u.a. die unkontrollierte Ausbreitung von Fake News befördert.
Aus diesem Grund spielen heute, aufgrund ihrer Reichweite, Fernseh-Dokumentationen – mehr als Kino-Dokumetarfilmen - eine wesentlichere Rolle für die Ausprägung kritischen Denkens und eine kritische Erzählung von Realität.

 

CT: Haben Dokumentarfilme in Italien Einfluss auf die Gesellschaft und das soziale Miteinander?

GA: Diese Frage stellt eine der größten Herausforderung für jeden Dokumentarfilm-Produzenten dar - vor allem in Italien. In Italien ist leider die Aufmerksamkeit auf unabhängig produzierte Dokumentarfilme noch begrenzt. Eine Ausnahme stellen die drei bis vier großen Dokumentarfilme dar, die jährlich von den sehr großen Produktionsfirmen mit einem Budget und einem Cast hergestellt Werden, das nah an das Budget eines Kinofilms heranreicht.
Trotzdem finde ich, dass jeder Dokumentarfilm-Produzent in Italien den Anspruch haben sollte, mit seinem Film einen Beitrag zum Gelingen von Gesellschaft zu leisten. Meiner Ansicht nach haben solche ProduzentInnen eine soziale Verantwortung. Diese ist verbunden mit dem Streben danach, die Realität abzubilden und zu kommentieren.
Ich bin vielleicht mutig oder leichtsinnig, wenn ich die Geschichte auswähle, die bestimmte Werte vermitteln soll. Der Erfolg des Films im Sinne seiner Wirtschaftlichkeit sollte keinesfalls das alleinige Kriterium für die Entscheidung der ProduzentInnen sein, einen Film zu machen oder eben nicht zu machen.

 

CT: Was können italienische ProduzentInnen von den deutschen KollegInnen lernen und umgekehrt?

GA: Ich denke, dass die wichtigste Bereicherung einer internationalen Zusammenarbeit das Privileg ist, ein Geschehen oder eine Geschichte von unterschiedlichen Perspektiven aus beobachten zu können. Die vielfältige redaktionelle, kulturelle und kreative Auseinandersetzung ist ein enormer Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu den ProduzentInnen, die sich ausschließlich für die nationale Produktion entscheiden.


Bericht und Interview von 
Carmen Té.

 

 

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