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Mehr Geld, mehr Sendeplätze! - Forderungskatalog der Nominierten des Deutschen Dokumentarfilmpreises
from 01.07.2017
In "Democracy", David Bernets ebenso präzisem wie eindrucksvollen Blick hinter die verspiegelten Fassaden des Brüsseler Europaparlaments gerät das zunächst einmal sehr papieren anmutende Ringen um die Verabschiedung einer europäischen Datenschutzrichtlinie zu einem spannenden Lehrstück über die Mechanismen unserer repräsentativen Demokratie. Diese Qualitäten machten den von Arek Gielnik und Dietmar Ratsch produzierten Film zum großen Abräumer des ersten SWR-Dokumentarfilm-Festivals, das am Freitag, 30. Juni, im Stuttgarter Metropol-Filmtheater mit der Verleihung des "Deutschen Dokumentarfilmpreises" zu Ende ging. Er gewann nicht nur den mit 4000 Euro dotierten Publikumspreis, der von einer Leser-Jury der Stuttgarter Zeitung vergeben wurde, sondern "Democracy" wurde auch zum Hauptpreisträger des Festivals gekürt - eine Auszeichnung, die stolze 20.000 Euro wert ist. Auch der mit 5000 Euro dotierte Filmkunst-Preis fiel an AG DOK-Mitglieder: Lutz Gregor erhielt ihn für seinen von der Gebrüder-Beetz-Filmproduktion hergestellten Film „Mali Blues“.
Aber nicht nur der seltene Gleichklang einer unabhängigen Fachjury mit dem Votum der Zuschauer hob die Stuttgarter Veranstaltung aus der Vielzahl vergleichbarer Preisvergaben heraus: in einer beispiellosen Aktion nutzten die zwölf Nominierten Regisseurinnen und Regisseure das ihnen gebotene Podium, um auf die schwierige Lage des programmfüllenden Dokumentarfilms und seiner Macher hinzuweisen. In einer gemeinsamen Erklärung verwiesen sie auf die Diskrepanz zwischen der allenthalben anerkannten und ständig wachsenden Bedeutung des Dokumentarfilm-Genres und dem Status, den diese Filme im Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens haben: "Wie ist es möglich, dass dieses hochgelobte Genre im Programm der ARD kaum stattfindet? Die ARD, um nur ein Beispiel zu nennen, zeigt regulär gerade mal ein Dutzend Dokumentarfilme im Jahr. Und auch in den dritten Programmen erleben preisgekrönte Filme und internationale Festivalerfolge ihre TV-Premiere um Mitternacht."
Dass sich die Geringschätzung in der Programmierung leider auch in den bereitgestellten Produktionsbudgets spiegelt, rechneten die nominierten Filmemacher anhand einer intern erhobenen Aufwands-Studie vor: im Schnitt stecken in jedem der vorausgewählten Filme 426 Tage Arbeit. Rechnet man die jeweils gezahlten Honorare dagegen, kommt man für jeden dieser zehnstündigen Arbeitstage auf ein Honorar von 120 Euro - oder, noch weiter heruntergebrochen, auf einen Stundensatz, der „etwas über dem Mindestlohn" liegt. Und zwar nicht für "irgendwelche Filme, sondern für die besten der letzten beiden Jahre."
Preisträger (und AG DOK-Vorstandsmitglied) David Bernet, der die gemeinsame Erklärung im Beisein aller Nominierten verlas, leitete aus der vorgetragenen Analyse gleich auch die konkrete Forderung nach dem Ende der Dumping-Honorare ab: die Anerkennung des Genres müsse sich auch durch die Gewährung höherer Budgets ausdrücken – und zwar „ohne dass es dann weniger Sendeplätze gibt. Sondern mehr.“
Dass im Reigen der ARD-Sender gerade der SWR für das Dokumentarfilm-Genre einsteht und auch mit der Aufwertung des von ihm gestifteten Preises durch ein Festival viel zur Anerkennung des Genres beiträgt, wissen die Filmemacher durchaus zu schätzen. Ihr Appell richtet sich denn auch darauf, dass sich die Betroffenen „mit den Intendanten und Programmverantwortlichen“ an einen Tisch setzen um endlich einmal über wirklich faire Produktionsbedingungen zu reden.
Zumindest in SWR-Intendant Peter Boudgoust dürften sie dabei den ersten Verbündeten haben – er hatte bereits in seiner Begrüßungsansprache das Profil des SWR als „engagierter Dokumentarfilmsender“ herausgestellt und in Anlehnung an ein Zitat von Festivalleiter Goggo Gensch den Dokumentarfilm „die DNA des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ genannt. Mit seiner Fähigkeit, den Zuschauern die Einordnung gesellschaftlicher Ereignisse und die Entwicklung einer eigenen Haltung zu ermöglichen, sei der Dokumentarfilm geradezu ein „Markenzeichen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.“
Die in Stuttgart versammelte Dokumentarfilmszene hörte die Botschaft gerne und wartet jetzt gespannt darauf, welche weiteren Taten diesen Worten folgen.
Erklärung der für den Deutschen Dokumentarfilmpreis 2017 nominierten Regisseurinnen und Regisseure und eine Studie zu Regie-Gagen im Dokumentarfilm
anlässlich der Preisverleihung am 30.06.2017
SWR-Dokumentarfilmfestival in Stuttgart
Wir nominierten Regisseurinnen und Regisseure für den Deutschen Dokumentarfilmpreis 2017 fühlen uns geehrt, an diesem Festival mit unseren Filmen aufzutreten. Wir möchten die Gelegenheit nutzen, mit dieser Note gemeinsam das Wort an Sie zu richten.
Dieses Festival ist neu. Und wir freuen uns darüber, weil es zur Anerkennung unserer Filme beiträgt. Der Dokumentarfilm erlebt in den letzten Jahren einen außerordentlichen Boom. Festivals schießen wie Pilze aus dem Boden und Jahr um Jahr werden neue Besucherrekorde erreicht. Noch nie gab es eine so enorme Vielfalt an innovativen Erzählformen im Dokumentarfilm.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagte kürzlich in einer Ansprache zur wachsenden Bedeutung des Dokumentarfilms: „Mit gründlicher Recherche, narrativem Fingerspitzengefühl und atmosphärischen Bilderwelten“ gelinge es diesem besonderen Genre der Filmkunst „dem alltäglich vorbeirauschenden Strom vielfach verstörender Informationen und Bilder ein Stück Wahrheit und Erkenntnis abzutrotzen.“
Allerdings steht die gesellschaftliche Bedeutung des Dokumentarfilms im Widerspruch zum Status, den diese Filme im Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens haben – und zu unserem rauen Alltag.
Wie ist es möglich, dass dieses hochgelobte Genre im Programm der ARD kaum stattfindet? Die ARD, um nur ein Beispiel zu nennen, zeigt regulär ganze rund ein Dutzend Dokumentarfilme im Jahr. Und auch in Dritten Programmen erleben preisgekrönte Filme, internationale Festivalerfolge ihre TV-Premiere um Mitternacht. Auch die ARD-Vorsitzende und MDR-Intendantin Karola Wille betont immer wieder, wie wichtig „der genaue Blick“ ist.
Dieser genaue Blick, die intensive Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit führt nur dann zu hochwertiger Qualität, wenn entsprechend Zeit von ihren Machern investiert wird. Und wenn es für diesen Zeitaufwand eine entsprechende – faire – Honorierung gibt. Wir haben die Autoren und Regisseure der hier versammelten Filme gebeten, uns entsprechende Daten über ihren investierten Zeitaufwand zukommen zu lassen – und diesen ins Verhältnis zu ihrem Honorar zu setzen.
Das Ergebnis:
An den hier nominierten Filmen wurde von den AutorInnen und RegisseurInnen im Durchschnitt 426 Tage gearbeitet! Einschließlich Recherche, Dreharbeiten, Schnitt, Mischung etc. Die Entlohnung betrug dabei durchschnittlich pro Tag etwa 120,- Euro. Das heißt, bei einem angesetzten 10- Stundentag, einem Honorar etwas über dem Mindestlohn. Und das betrifft nicht irgendwelche Filme, sondern die besten 12 der letzten beiden Jahre.
Dieser Zustand ist nicht länger hinnehmbar.
Was wollen wir von den Sendern? Eine Umsetzung der Anerkennung des Genres auch durch höhere Budgets. Ohne dass es dann weniger Sendeplätze gibt. Sondern mehr. Das muss gewollt sein. Es geht um Umverteilung zugunsten des Genres. Nur dann wird sich etwas ändern: Das Ende der Dumping-Honorare. Und sicher werden bei fairen Produktionsbedingungen die Filme nicht schlechter...
Wir brauchen Ihrer aller Unterstützung. Es ist an der Zeit, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, zusammen mit den Intendanten und Programmverantwortlichen. Qualität hat ihren Preis.
Vielen Dank!
Die Nominierten (in alphabetischer Reihenfolge)
David Bernet
Stefan Eberlein
Manuel Fenn
Lutz Gregor
Annett Ilijew
Valentin Kemmner
Irene Langemann
Katrin Nemec
Erol Papic
Heidi Specogna
Andres Veiel
Marcus Vetter
Zeitaufwand und Honorierung im Kinodokumentarfilm am Beispiel der Nominierten zum Deutschen Dokumentarfilmpreis 2017
10 RegisseurInnen geben ihre Daten an.
Dokumentarfilme gehören zum festen kulturellen Bestand einer offenen demokratischen Gesellschaft und ihrer Filmkunst. Was viele nicht wissen ist, dass die meisten deutschen Dokumentarfilme unter prekären Verhältnissen entstehen. Die Haupturheber müssen mit Gagen leben, die viel zu oft nicht einmal die Lebenshaltungskosten während der Herstellung eines Filmes abdecken.
Um diesen Missstand sichtbar zu machen, haben die nominierten Regisseurinnen und Regisseure des Deutschen Dokumentarfilmpreises 2017 beschlossen, sich zu offenbaren. In der folgenden Studie legen sie offen, was für einen Arbeitsaufwand sie in die Herstellung ihrer Filme investiert haben und wie dieser Aufwand im Verhältnis zu ihren Gagen steht.
Wir präsentieren hiermit die Resultate dieser Umfrage aus den preiswürdigen Filmen des Deutschen Dokumentarfilmpreises 2017 (ausgewählt aus den deutschen 113 Produktionen der letzten zwei Jahre) und ergänzen sie mit Erläuterungen.
Bemerkung zur Statistik:
Für die verschiedenen statistischen Auswertungen konnten nicht durchgehend alle Filme herangezogen werden, da sie entweder nicht unter professionellen Kriterien entstanden sind (Abschlussfilme von Filmschulen) oder die Basisdaten nur teilweise aufbereitet werden konnten (zwei der Regisseurinnen leben nicht in Deutschland).
Um extreme Schwankungen in den erhobenen Daten auszugleichen, wurde für die Berechnung von Durchschnittswerten der jeweils tiefste und höchste Wert ausgeklammert.
Ergebnisse und Erläuterungen
Bei den meisten Kino-Dokumentarfilmproduktionen sind Buch und Regie ein und dieselbe Person. Wir fassen daher die beiden Funktionen unter dem Begriff Regie zusammen.
Bevor Dokumentarfilmprojekte mit Budgets ausgestattet sind, tragen Regisseure und Regisseurinnen als freischaffende Filmemacher das finanzielle Risiko für ihre Projekte. Ab offiziellem Produktionsbeginn erhalten sie eine pauschale Gage, die ihre Arbeits- und Urheberleistung abdeckt - unabhängig davon, wie groß der tatsächliche Arbeitsaufwand für die Herstellung des Filmes wird. Da Dokumentarfilme naturgemäß eine Reise ins Unbekannte sind, ist dieser zeitliche Aufwand in den meisten Fällen viel größer als im kalkulierten Produktionsrahmen vorgesehen.
Seit vielen Jahren beklagen RegisseurInnen daher, dass die marktüblichen Gagen, die für den Buch- und Regie-Aufwand kalkuliert werden, in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Leistung stehen. Bislang allerdings vergebens. Mit dieser Erhebung unter den nominierten Filmen des Deutschen Dokumentarfilmpreises 2017 können wir nun belegen, dass das Missverhältnis zwischen Aufwand und Honorierung real ist:
Die nominierten Regisseurinnen und Regisseure verdienten im Durchschnitt 120 € netto pro Tag. Zum Vergleich: Ein Ton-Operateur verdient marktüblich an einem Arbeitstag um die 300 € netto. Ein Kamera-Operateur zwischen 400 bis 500 €, Schnitt ca. 300 bis 350€.
Regisseurinnen und Regisseure erhalten im Durchschnitt also eine Tagesgage, die einem Drittel von dem entspricht, was einer marktüblichen Gage entspräche. Und ein Drittel bis ein Fünftel von dem, was tarifliche Gagen in der deutschen Filmindustrie für selbständige Filmschaffende ausmachen.
In Zahlen und Grafiken
Durchschnittlicher Aufwand für Buch und Regie insgesamt | 426 Tage |
Ø Aufwand Stoff- und Projektentwicklung | 120 Tage |
Ø Aufwand Produktion/Dreh | 79 Tage |
Ø Aufwand Schnitt / Postproduktion | 231 Tage |
Ø Aufwand Auswertung | 39 Tage |
Ø Recherchetage | 44 Tage |
Ø Exposé/Treatment/Buch | 38 Tage |
Ø Drehtage | 39 Tage |
Ø Sichtung/Schnittvorbereitung | 41 Tage |
Ø Schnitttage | 144 Tage |
Durchschnittliches Honorar insgesamt | 48.666 € |
Durchschnittliches Tageshonorar insgesamt | 120 € |
Stefan Eberlein eberlein@filmbuero-sued.de mobil: +49 157 37548116
David Bernet d.bernet@atmosfilm.de mobil: +49 151 1272708
download der Erklärung als pdf
Zusammenschnitt der Reden von SWR-Intendant Peter Boudgoust, von Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn und der gemeinsamen Erklärung der nominierten Regisseurinnen und Regisseure: vimeo.com (Video 10 min)
SWR-Doku-Festival: "Da geht man schon ein wenig in die Knie" Stuttgarter Zeitung 30.06.17
Öffentlich-rechtliche Sender - Was ist der Preis? Süddeutsche Zeitung 02.07.17