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Film

Die Dokumentarfilme sind die Hauptgewinner der Berlinale 2023

Darin lässt sich aber auch ein neuer Trend erkennen: „Doc Accountability“. Zu übersetzen vermutlich mit: Dokumentarische Rechenschaftpflicht.

from 20.03.2023

Von Alice Agneskirchner.

 
Zwei Jahre Corona liegen hinter uns. Der Potsdamer Platz ist noch ungastlicher und verwaister als je zuvor, das CineStar gibt es nicht mehr, das CineMaxx hat umgebaut und verkleinert. Aber das macht mir keine schlechte Laune mehr, weil ich mit dem neuen Online-Ticket-System, bequem von zuhause ab 7 Uhr morgens die Tickets für den nächsten Tag buchen kann - und sie auch bekomme! Am Berlinale-Palast – dem Premierenort der Wettbewerbsfilme - liegen die roten Teppiche, die Stars kommen auch. Das Delphi-Kino, das International, das Cubix am Alexanderplatz, die Urania, die Akademie der Künste am Hanseatenplatz – alle Kinos sind ausverkauft. Überall Menschen in Gespräche vertieft. Ein Gefühl der freudvollen Erwartung, wenn dann der Berlinale-Trailer startet, das Gemurmel verstummt und sich alle im Kinosaal gleichzeitig auf die Reise in eine Geschichte begeben. Berlinale 2023.

Dieses Jahr gewinnt – wieder ein Dokumentarfilm einen Bären. Letztes Jahr hat der begleitend beobachtende Dokumentarfilm „Herr Bachmann und seine Klasse“ von Maria Speth den Silbernen Bären erhalten. Dieses Jahr gewinnt "Sur l`Adamant“ (Auf der Adamant) - von Nicolas Philibert den Goldenen Bären - für den besten Film. Eine teilnehmende Beobachtung, ein Gesprächsfilm mit und über psychisch kranke Menschen, die jeden Tag zur Tagesklinik: Adamant kommen, ein festanliegendes Boot auf der Seine. Man begibt sich in eine Welt der Anders-Seienden und Anders-Denkenden - und denkt dabei darüber nach, was überhaupt „normal“ sein soll. Und was vielleicht wirklich wichtig ist, z.B. Freundschaft, die eigenen künstlerischen Empfindungen, Sympathie oder wie es ist, die Haare im Wind zu spüren.

„El Eco“ (Das Echo) gewinnt den Berlinale-Dokumentarfilmpreis und den Encounter Regie-Preis. Tatiana Huezo hat einen Film über die Kinder eines kleinen Mexikanischen Dorf gemacht. Sie hat die filmische Erzählung gemeinsam mit den Bewohnern des Dorfes, den Eltern und den Kindern entwickelt und erst dann gefilmt. Das spürt man. Die kleineren Kinder spielen Schule oder sind damit beschäftigt die Schafherde zu hüten. Die größeren Mädchen überlegen, welcher Mann der passende sein könnte. Die Eltern diskutieren mit den Kindern, welche Aufgaben Jungen und Mädchen innerhalb der Dorfgemeinschaft übernehmen dürfen, bzw. müssen. Auch die Frage warum ein Mädchen, das genauso gut reiten kann, wie die Jungs, nicht beim Pferderennen mitmachen darf. Beobachtungen aber auch Verabredungen zum Dreh und dafür arrangierte Szenen. Die Protagonisten sind die Miterzählenden und nicht nur die, über die erzählt wird.

„Hummingbirds“ von Silvia Del Carmen Castanos + Estefania Contreras gewinnt den Hauptpreis in der Sektion Generation 14plus. Eine kleine Grenzstadt in Texas. Zwei Freundinnen und ihre Freunde. Gespräche auf dem Sofa. Karaoke und Bingo. Eine Demonstration für das Abtreibungsrecht von Frauen, Gespräche mit den eigenen Müttern, über Aufenthaltsgenehmigungen und verschwundene Väter. Es geht um das Erwachsenwerden, das Frausein oder auch das Queersein. Die beiden Protagonistinnen sind die Regisseurinnen. Ein privater Kurzfilm der damals 16-jährigen war auf Facebook zu sehen Die Produzentin Jillian Schlesinger hat daraufhin die beiden gefragt, ob sie einen langen Film über ihr eigenes Leben machen wollen. Jetzt drehen sie bereits an einer Fortsetzung.

„Sieben Winter in Teheran“ von Steffi Niederzoll erhält den Berlinale-Friedenspreis. Reyhaneh, sitzt im Gefängnis. Sie hat einen Mann erstochen. Nicht ihren Ehemann und nicht irgendeinen Mann, sondern einen Mitarbeiter des Iranischen Geheimdienstes und den Mann, der sie vergewaltigen wollte. Sie wird verhaftet und angeklagt. Zeugen gibt es keine. Die Richter bestehen auf das im Iran offizielle Recht der Blutrache. Die Familie des Toten, genauer gesagt, der Sohn des Toten muss die Vollstreckung des Todesurteils durchführen. Bis es dazu kommt vergehen sieben Jahre. Das Leben Reyhanehs in drei verschiedenen Gefängnissen, der Kampf der Mutter um ihre Tochter, diverse Gerichtsverhandlungen, die Entwicklung der Tochter zur Aktivistin gegen die Unterdrückung der Frau in Iran – all diese Ereignisse wurden von Freunden und Familienmitgliedern über sieben Jahre mit Handys gedreht. Dieses Material gelangt auf abenteuerliche und zufällige Weise zu Steffi Niederzoll, die gerade ihren ersten Spielfilm drehen wollte. Im Auftrag der Familie macht sie dann diesen Film. Ehemalige Mitgefangene, die Mutter und die Schwester, die mittlerweile in Deutschland leben - und via Skype den Vater im Iran, der nicht ausreisen darf – vervollständigen die Geschichte. Aber die Regisseurin verfilmt das Vermächtnis einer hingerichteten Frau. Dieser Wucht kann ich mich nicht entziehen.

Sind heute die Dokumentarfilme die besseren, die wichtigeren bei denen die Grenzen zwischen Protagonist:innen und Filmmachenden sich miteinander verbünden oder gleichberechtigt verschwimmen? Von Objektivität geht in unseren Kreisen sowieso niemand aus, aber was bedeutet das wirklich? Welchen Blick oder welche Blickwinkel dürfen, sollen oder müssen wir als Dokumentarfilmer:innen in Zukunft einnehmen? International hat sich eine Gruppe von Dokumentarfilmschaffenden zusammengefunden, um einen Wandel im Bereich des nicht-fiktionalen Erzählens voranzutreiben. Es geht um die Selbstverpflichtung verantwortungsvolle, ethisch relevante Praktiken, in die Arbeit aller Beteiligten, also: Künstler:innen, Protagonist:innen, Geldgeber:innen, Festivalkurator:innen, Kritiker:innen, sowie Programmgestalter:innen usw. zu integrieren. Eine Rechenschaftsverpflichtung, dass der Respekt gegenüber den Protagonist:innen und ihrer Welt nicht einer Zweckmäßigkeit, einer kommerziellen Rentabilität oder der Unterhaltung geopfert werden darf. https://www.docaccountability.org

Indigene Völker auf der ganzen Welt haben oft protestiert, wenn ihre Geschichten von anderen erzählt wurden. Die eigenen Geschichten und die Sichtweise auf ihre Geschichte werden ihnen damit weggenommen. Die First-Nations in Kanada haben 2022 ein Vertragswerk aufgesetzt. Wer mit ihnen drehen will, muss unterschreiben, sie als Mit-Regisseur:innen zu beteiligen und ihnen auch etwas zurückzugeben. Das kann Geld sein. Das können Film-Workshops sein. Das können Reisen in die Welt der Filmschaffenden sein.

Die Realität kann heute nicht mehr nur von uns – trotz aller oft prekären Verhältnisse – dennoch privilegierten Filmemacher:innen erzählt werden. Schließlich verdienen wir unser Geld damit, dass wir die Geschichte von anderen nehmen und sie einem wiederum anderen Publikum erzählen. Mit Journalismus - also dem „Recht auf Berichterstattung“ haben unsere Filme ja meist nicht viel zu tun. Reicht es für diejenigen, deren Geschichten wir erzählen, heute noch aus, einen ehrlichen und subjektiven zugewandten Blick zu haben? Oder müssen wir weiter gehen? Einen Vertrag darüber abschließen, wie die filmische Erzählung wirklich aussehen wird, sich darüber verständigen, welches Bild über die Protagonisten entstehen wird? Sie teilhaben lassen am Prozess und nicht nur über sie einen Film machen? Geld bezahlen? Wokeness, Diversity, Me Too und Gender-Fragen, die Wahl der Geschichten, die Auswahl der Protagonisten - die Bilder die wir als Dokumentarfilmschaffende von der Welt herstellen, werden jetzt im Moment neu ausgelotet.

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