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Wir trauern um Fritz Wolf
Langjähriger Grimme-Preis-Juror Fritz Wolf verstorben
from 03.09.2021
Erschienen am 11.09.2021 in der TAZ
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Das dokumentarische Arbeiten hat sich stark verändert in den vergangenen Jahren, aber eine Konstante gab es: Fritz Wolf hat all diese Entwicklungen kommentiert und analysiert, manchmal in gewisser Weise auch als teilnehmender Beobachter. So intensiv und systematisch wie er hat kein anderer Journalist hier zu Lande sich mit dem Dokumentarfilm und anderen dokumentarischen Formaten befasst – als Kritiker unter anderem für epd medien, als Autor verschiedener Studien und nicht zuletzt in den Gremien des Grimme-Preises.
Was den Dokumentarfilm angeht, war Fritz Wolf aber noch mehr als der Experte, der mehr gesehen hat als andere, er hat sich auch immer wieder exponiert engagiert für das Genre. Alle Filmemacher*innen, die in diesem Bereich Rang und Namen haben, kennen seinen Namen, und fast alle von ihnen kannte er persönlich. Fritz Wolf war ein Netzwerker avant la lettre, aber diese Nähe beeinträchtigte nie sein Urteilsvermögen als Kritiker und Juror.
Über den Grimme-Preis hat Fritz mehr als ein Vierteljahrhundert mitentschieden, fast immer in der Kategorie Information & Kultur, meistens in der Jury. In den vergangenen drei Jahren wirkte er schließlich in der Nominierungskommission Information & Kultur mit, die dreimal pro Jahr für eine Woche zusammen kommt, um mehrere hundert eingereichte Produktionen zu sichten. Er war auch von Beginn an Mitglied der Vorauswahlgruppe für die „Besondere Journalistische Leistung“, die beim Grimme-Preis seit 2016 ausgezeichnet wird.
Im Bereich der dokumentarische Formate hatte Fritz noch einmal ein besonderes Augenmerk auf Filme zu zeitgeschichtlichen Themen – und in diesem Subgenre wiederum waren Filme über die NS-Zeit für ihn noch einmal ein besonderes Spezialgebiet. Wenn wir in der Nominierungskommission einen Film gesehen hatten, der für Fritz herausragte, weil es den Macher*innen zum Beispiel gelungen war, Bilder wirken zu lassen, sie vielleicht sogar zum Sprechen zu bringen, anstatt sie bloß als Begleittapete für Textinhalte zu nutzen – dann setzte er zu zärtlichen Brandreden an, wobei seine Argumentationen auch davon profitierten, dass er manche der langen Filme schon vor der Sichtung in der Kommission mehrmals gesehen hatte.
Wenn es zu weniger guten Filmen etwas zu sagen gab, hakte er das Thema gern mit einem prägnanten Kurzsatz ab. Manchmal reichte auch bloß ein Wort. „Haufendramaturgie“ zum Beispiel. Aus Fritz’ Munde habe ich diesen Begriff zum ersten Mal gehört, vermutlich hat er ihn erfunden. Die Formulierung bezieht sich auf TV-Dokumentationen, in der sehr viele verschiedene Einzelaspekte eines Themas angehäuft werden, ohne dass sich die Filmemacher*innen fürchterlich viele Gedanken über Struktur und Dramaturgie gemacht haben.
Für seine Expertise im Bereich dokumentarisches Fernsehen stehen Studien wie „Alles Doku – oder was?“ (2003) und „Trends und Perspektiven für die dokumentarische Form im Fernsehen“ (2005). Der Titel „Alles Doku – oder was?“ ist, obwohl ja nun schon fast zwei Jahrzehnte alt, unvermindert aktuell - zum Beispiel, weil, was Fritz natürlich sehr ärgerte, immer noch viele Journalist*innen Dokumentarfilme und TV-Dokumentationen in einen Topf werfen.
Zuletzt erschien 2019 im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok) „Deutschland - Doku-Land“. Eine Studie, die deutlich machte, in welchem Ausmaß das öffentlich-rechtliche Fernsehen den langen Dokumentarfilm vernachlässigt, und was auf dem sehr weiten Feld der TV-Dokumentationen im Argen liegt. „Nur etwa sieben Prozent der dokumentarischen Arbeiten behandeln gesellschaftspolitisch relevante Themen, und gerade einmal drei Prozent beschäftigen sich mit Wissenschaft und Technik“, kritisierte er damals.
Ein Faible hatte Fritz auch für Kulturfernsehen, und in Diskussionen darüber merkte man, dass er, den die meisten von uns aufgrund seiner medienjournalistischen Arbeit kannten, noch andere Spezialgebiete hatte. In den 1980er Jahren war er Kulturredakteur bei einem Vorgängerblatt der Wochenzeitung Freitag und Anfang dieses Jahrtausends Literaturredakteur bei einer längst eingestellten Wochenendbeilage des Handelsblatts. Fritz bedauerte es sehr, dass es auf dem Feld der Kulturdokumentationen zu viel schablonenhafte Filme gibt, und er ärgerte sich, wenn wir in der Nominierungskommission Filme über Künstlerinnen oder Künstler oder ein kulturelles Phänomen gesehen hatten, denen man anmerkte, dass die Autor*innen kein allzu großes Interesse an ihrem Gegenstand haben. Eine Studie zum Thema Kulturfernsehen für die Otto-Brenner-Stiftung hat er nicht mehr vollenden können, das werden nun andere machen.
Wenn wir über Fritz und Kultur sprechen, müssen wir auch über Jazz sprechen. Ich erinnere mich an eine Telefonkonferenz der Vorauswahlgruppe für die „Besondere Journalistische Leistung“, in die er sich einschaltete, als bei ihm gerade ein Bebop-Stück lief, vermutlich eines von Charlie Parker. Die Telefonkonferenz lief schon ein paar Momente, ehe jemandem auffiel, dass die Musik zwar nicht sehr laut war, sie die Verständigung untereinander aber doch ein bisschen beeinträchtigte. Dass Fritz die Musik zunächst laufen ließ, hatte nichts mit Unhöflichkeit zu tun. Musik war für ihn wahrscheinlich ein derart selbstverständlicher Teil des Alltags, dass er gar nicht auf die Idee gekommen wäre, dass sie an dieser Stelle leicht deplatziert war. Auch über Musik jenseits des Jazz geriet er oft ins Schwärmen, erzählte von der ausgelassenen Atmosphäre bei einem Rolling-Stones-Konzert oder von Opernhäusern, die man unbedingt mal besuchen sollte.
Fritz, wir werden Deine Streitlust, Deine Leidenschaft, Dein Wissen und nicht zuletzt Deinen Witz vermissen!
Von René Martens
(freier Journalist und Mitglied der Grimme-Preis-Gremien)
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Foto: Lars Gräßer / Grimme-Institut.
Dieser Nachruf ist zuerst erschienen auf grimme-preis.de
Hier geht es zur Studie von Fritz Wolf "Deutschland - Doku-Land", die er im Auftrag der AG DOK und des Grimme-Instituts verfasst hat und die 2019 im Rahmen der 69. BERLINALE präsentiert wurde.
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KONDOLENZBEREICH
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Ich habe zuletzt vor vier Wochen mit ihm telefoniert, weil er eine weitere Studie für die AG DOK nicht mehr zu Ende bringen konnte. Er verabschiedete sich mit den Worten: "Ich werde dieses Jahr nicht mehr schaffen..."
Ich war geschockt - er klang doch ganz munter, gar nicht verzweifelt..sicher – seine Stimme war schwächer als sonst, aber todkrank? Ich konnte es nicht fassen...
...Er erzählte mir, wie schwer es ihm fiele auf Hilfe anderer angewiesen zu sein und wie sehr ihm das Lesen und Filme schauen fehle…
Er hatte ja gerade noch Hoffnung und eine Therapie gut überstanden und ich hatte das Gefühl, dass er es schaffen könnte. Aber dann doch viel zu schnell die bittere Wahrheit - die Krankheit kam zurück...Und jetzt ist doch alles ganz anders.
Obwohl ich wusste, dass es aussichtslos schien, bin ich tief erschüttert und fassungslos, dass er diese Welt verlassen hat, so mitten raus aus allem, was er doch vor Monaten noch plante... weg von seiner Familie, seinen Freund*innen und Kolleg*innen.
Es tut mir so leid! Dieses Abschiednehmen, das das Leben von uns immer wieder verlangt, ist schrecklich.
Ich kann es seiner Familie nachfühlen. Gewiss, es ist ein schwacher Trost, aber es ist ein Trost, dass er friedlich eingeschlafen ist und dass er sich von allen seinen Lieben verabschieden konnte, weil er wusste, was kommt Und was wissen wir schon, in was für einer Welt er jetzt ist – ganz gewiss aber doch in einer Welt, die frei ist von Schmerzen und Qual.
Lieber Fritz - mach es gut! Wir vermissen dich!
Hier der Link zu unserer letzten AG DOK Veranstaltung mit Fritz Wolf. Während der Berlinale 2019 stellte er die Studie „Deutschland –Doku-Land“ vor, die die AG DOK gemeinsam mit dem Grimme Institut bei ihm in Auftrag gegeben hatte!
Petra Hoffmann, Mitglied des Bundesvorstands der AG DOK
Mitglied des Regionalvorstandes AG DOK WEST .
Ich habe Fritz Wolf als stets hellsichtigen und scharfsinnigen Begleiter meiner Arbeit erlebt, gerade da, wo er kritisch auf sie blickte. Vor mehr als 15 Jahren versuchte auch ich mich an einem so genannten "living History"-Format - eine Erzählform, der Fritz mit einer gewissen Skepsis begegnete. Seine kritische Rezension der von mir mit verantworteten Serie "Windstärke 8 - Das Auswandererschiff" war für mein Ego nicht unbedingt erfreulich, aber sie war das Klügste, was ich an Besprechungen zu lesen bekam. Daraus entwickelte sich ein anregender, von gegenseitigem Respekt getragener Briefwechsel, in dem es schnell um ganz grundsätzliche Fragen dokumentarischen Arbeitens ging. Für mich wurde dieser Austausch Ansporn und Verpflichtung zugleich. Denn was mir darüber klar wurde, war dies: Die Sehnsucht des Kritikers Fritz Wolf war stets die Sehnsucht eines leidenschaftlichen Zusehers, der Geschichten aus der Wirklichkeit liebte. Besonders dann, wenn sie gut erzählt waren. Fritz, Du fehlst uns sehr.
Dominik Wessely
Lieber Fritz,
"Formate sind auch immer eine Vorsortierung der Wirklichkeit und das, was für das Dokumentarische eigentlich interessant ist – die Beobachtung und Entdeckung – werden durch das Erfinden ersetzt."
So hast Du es treffend vor drei Jahren formuliert. Wir kennen Dich seit den 1980er Jahren und haben Deine erhellenden und pointierten Diskussionsbeiträge immer sehr geschätzt. Wir trauern um Dich.
Gernot Steinweg und Rea Karen-Steinweg
Ihr scharfer und kritischer Blick und gleichzeitige herzliche Liebe zu wichtigen Geschichten, die dokumentarisch erzählt werden müssen, war einzigartig.
Fritz Wolf, Sie werden uns und der Welt fehlen!
Stefan Kloos, Kloos & Co. Medien / Rise and Shine
Sein scharfer Blick und seine präzisen Formulierungen werden fehlen. Vor allem sein Engagement und seine Leidenschaft. Fritz Wolf war ein unbestechlicher Kritiker und ein Mahner gegen die Verdrängung politisch und gesellschaftlich relevanter Dokumentarfilme auf späte Sendeplätze. Wir werden ihn vermissen.
Ulrike Becker, Geschäftsführerin HAUS DES DOKUMENTARFILMS
s. auch Nachruf von Dr. Kay Hoffmann auf dokumentarfilm.info
Lieber Fritz, deine klugen Beiträge, dein „out of the box“ Gedanken und offener Streitwille für den Dokumentarfilm wird uns allen fehlen. Ich denke an all die panel zu den Öffentlich-Rechtlichen-Sendeanstalten, die wir gemeinsam bestritten haben, an die emotionalen Diskussionen beim Grimme-Institut oder Telefonate über Politik und Filme. Man konnte immer zu Dir kommen, wenn man Rat suchte, da es kaum jemanden gab, der so akribisch den deutschen Dokumentarfilm und die Dokumentation im Fernsehen beobachtete und analysierte. Ruhe in Stille und sei dir gewiß wir machen weiter!
In großer Trauer — Christian Beetz für die gebrueder beetz filmproduktion
Ein bitterer Verlust auch für uns Filmschaffende ganz im Osten: Ich habe Fritz Wolf schon Mitte der 1990er Jahre kennengelernt als jemanden, der – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Kolleg/innen – uns auf Augenhöhe, vollständig frei von Vorurteilen und mit großer Neugier begegnet ist. Genau so agierte er auch in der Vorauswahl-Jury für den Grimme- Preis – und auch das eine große Ausnahme. Er wird so sehr fehlen!
Grit Lemke
Was ein herber Verlust für uns und unser Genre.
Fritz war immer ein meinungsstarker Kämpfer für die Sache, ohne Scheuklappen. Offen für Neues, aber deutlich in seiner Kritik gegen Kommerzialisierungstendenzen, dumdreiste Gleichmacherei und Stromlinienförmigkeit im öffentlich-rechtlichen Apparat. Auch ich habe einiges gelernt von Fritz und ihm viel zu verdanken. Seine verschmitzte Art und seine Stimme werden mir sehr fehlen.
Florian Opitz
SPRING PRODUCTIONS Filmproduktion
fritz wolf ist gestorben. ich denke, viele werden sich an seine fundierten vorträge vor der agdok gern erinnern. ich selbst kannte ihn seit zwanzig jahren, als er erstmals auf meine filme aufmerksam wurde, und ich habe ihm viel zu verdanken. er war viele jahre juror beim grimme-preis, und zwar einer, der spreu von weizen mit großer sicherheit zu trennen wusste. daß er dabei nie rechthaberisch oder halsstarrig wurde, daß er immer auch eine gewisse sympathie behielt für das nicht ganz gelungene - es mag mit einem österreichischen naturell zusammenhängen - das habe ich an ihm immer besonders geschätzt, und ich hätte ihm darin gern nachgeeifert.
andreas christoph schmidt
schmidt & paetzel fernsehfilme gmbh
noch vor 10 Tagen ca wollte ich Fritz noch anrufen, da war er aber leider nicht mehr ansprechbar, über eine Dame am Telefon konnte ich noch einen letzten Gruß ausrichten lassen.
Lieber aufrechter wackerer Fritz, mögest du in Frieden ruhen.
Dirk
Dirk Szuszies