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Alternative Finanzierungs- und Verwertungsmodelle

Wie wir Filmverleiher geworden sind

Eine Fallstudie von Lilian Franck und Robert Cibis zum Kino-Dokumentarfilm Free Lunch Society von Christian Tod, coproduziert und verliehen von OVALmedia Cologne

 

Seit 10 Jahren ist der Schwerpunkt von OVALmedia, Kinodokumentarfilme zu produzieren. Ein Nischengeschäft, in einem schrumpfenden Markt. Die wenigen auf diese Art „Produkt“ spezialisierten Kinoverleiher haben schwindende Möglichkeiten, Geld zu investieren und hängen praktisch von der Filmförderung ab. Diese konzentriert sich zudem lieber, auch bei Verleihförderung, auf die größeren, kommerzielleren Projekte. Es überrascht nicht, wenn viele Verleiher auf die Produzenten schimpfen, die übertriebene Erwartungen an sie und an „den Markt“ hätten, wenn die Produzenten auf die Verleiher schimpfen, denen sie „ihr Baby“ übergeben, das mit jahrelanger Selbstaufopferung „groß geworden“ ist und dann mit nur wenig Zeit und Geld dem Publikum vorgestellt wird. Der Druck ist enorm, die Erfolgsaussichten sind gering.

Gleichzeitig ermöglicht die Digitalisierung Vieles neu zu denken. Die Herstellung eines Kinofilms gibt den Machern gute Kenntnisse über die Zielgruppe und bringt sie, so wie bei „Free Lunch Society“, in Kontakt mit Multiplikatoren. Der Film plädiert für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens und eruiert die Umsetzbarkeit dieser Idee. Er ist ein Pamphlet für eine gesellschaftliche Neuordnung. Um dafür Publikum zu erreichen, sind solche Influencer entscheidend.

Deshalb hat OVALmedia entschieden, anhand dieses Projektes einen schon langen gehegten Plan umzusetzen: Unser Projekt von der Konzeption bis zum Zuschauer zu begleiten. Aus diesem Grund hatten wir bei dieser Kino-Koproduktion auf die automatische Produktionsförderung des DFFF verzichtet. Diese bekommen Produzenten, wenn sich vor Produktionsbeginn mit einem Verleih aus der DFFF-Liste zusammentun, der sich vertraglich verpflichtet, den Film mit einer Mindestzahl an Kopien zu starten. Auch die Chancen auf andere öffentliche Produktionsförderungen steigen mit einem Verleihvertrag. Das „zwingt“ Produzenten und Verleiher früh zu heiraten, auch wenn für beide Seiten unklar ist, wie der Film wird, geschweige denn, wie der Markt aussehen wird, wenn der Film fertig ist. Unsere Kinoprojekte dauern oft lange bis zur Fertigstellung, bzw. bis zum Kinostart, der ja erst nach der Festivalauswertung sein soll. Bei „Free Lunch Society“ waren es rund 7 Jahre.

Zugegeben: Wir hatten auch kein attraktives Angebot eines engagierten Verleihs für „Free Lunch Society“. Bei einer ordentlichen Mindestgarantie hätten wir sicher nachgegeben, den Film lizensiert und von der automatischen Produktionsförderung des DFFF profitiert. Das Produktionsbudget von 630.000 EUR war schließlich über ZDF/ARTE und die Film und Medienstiftung NRW aus Deutschland kofinanziert, welche wir auch ohne Verleihvertrag zugesagt bekommen haben. Die Majorität der Gelder akquirierte unser Ko-Produzent Golden Girls aus Österreich: Das Österreichische Filminstitut, den Filmfonds Wien, den FISA und den ORF.

Als der Film dann fertig war, wurden unsere beiden Anträge auf Verleihförderung bei der Film- und Medienstiftung NRW abgelehnt, obwohl sie die Produktion gefördert hatte. Da in diesen Jurys in der Regel Verleiher sitzen, die möglicherweise neue Konkurrenten auf der Marktfläche fürchten, ist das eine große Hürde für eine Firma, die ihren ersten Film verleihen will. Daraufhin ermöglichte uns schließlich ein privater Investor mit einem Darlehen von 25.000 EUR den Kinostart, zusätzlich gab es einige Sponsoren, die mit kleineren Summen geholfen haben.

Der Investor befindet sich heute in der Gewinnmarge. „Free Lunch Society“ war in seiner Startwoche der erfolgreichste Dokumentarfilm und hat bisher um die 20.000 Kinobesucher, trotz des viel zu frühen Sendetermins auf ARTE vier Wochen nach dem großen Eventtag (wie das passieren konnte, ist eine andere Geschichte!).

Gegenwind entsteht auch wegen der starken Einbußen im deutschen Kinomarkt im Allgemeinen. Das Mittelfeld fällt weg. Laut Felix Bruder, Geschäftsführer der AG Kino, hatten im letzten Jahr die Filme auf den ersten fünf Plätzen 20 Prozent aller Kinobesucher, pro Jahr kommen rund 5600 Filme in Deutschland ins Kino. Die Besucherzahlen für Mainstream-Filme sind letztes Jahr um 19 Prozent gesunken, dahingegen die Zuschauerzahlen im Arthouse Bereich um „nur“ 10 Prozent. Der erfolgreichste Kinodokumentarfilm war „Papst Franziskus“ auf Platz 16 der Jahres-Filmhitliste, gefolgt von „Weit“ auf Platz 29. „Free Lunch Society“ hat es mit deutlich weniger Verleih-Startkapital immerhin geschafft, auf dieser Hitliste zu erscheinen. Im Lauf der nächsten zwei Jahre streben wir an, auf 25.000 Zuschauer zu kommen, um Referenzförderung (Filmförderungsgesetz FFG §§ 73 - 99) zu erhalten. Wenn das wie geplant klappt, hat sich dieser Selbstverleih auf jeden Fall auch finanziell gelohnt.


Für den Verleih-Erfolg von „Free Lunch Society“ waren folgende fünf Strategien entscheidend. Sie sind in diesem dreiminütigen Video zusammengefasst.


1. Eventisierung

Robert Cibis schrieb im Herbst 2017 auf die Facebookseite des Films: „Am 1. Februar 2018 in 100 deutschen Kinos gefolgt von 100 Diskussionen.“ Alle anderen aus dem Team von OVALmedia fanden das zu größenwahnsinnig und wir haben es deswegen vorsichtshalber erstmal wieder runtergenommen. Tatsächlich aber haben wir dieses Ziel erreicht!

Robert hatte Recht, denn diese zeitgleiche Massenpremiere war wichtig, weil dadurch ein „Show Down“-Effekt entstand: Jeder wollte am großen Tag mit dabei sein. Um den Eventcharakter noch weiter zu verstärken wurden an dem Tag auch noch gleichzeitig 11 Grundeinkommen für ein Jahr verlost. Nach den Kinovorführungen wurden die Sieger bekannt gegeben, in einigen Kinos waren sogar glückliche Gewinner im Publikum. Das gab Applaus!


2. Action Kit

Es gab viele Vereine, NGOs und Aktivisten, die sich für das bedingungslose Grundeinkommen einsetzen. Diese haben wir persönlich und über soziale Medien angesprochen, uns zu helfen, den Film ins Kino zu bringen. Wir haben dazu aufgefordert, selbst eine Vorführung zu organisieren. Ohne Vorkenntnisse. Dafür haben wir ein „Action Kit“ mit Anleitungen zur Verfügung gestellt. So haben einige Menschen ehrenamtlich „unsere" Verleiharbeit unterstützt. Die meisten Spielstätten waren Kinos, aber es gab auch jemand, der eine Vorführung in seinem Wohnzimmer gemacht hatte. Die Bedingung dafür war lediglich der öffentliche Verkauf von Eintrittskarten und die Möglichkeit der Reservierung dieser Tickets über unsere Webseite.


3. Partner

Wir haben uns mit politischen Parteien wie z.B. Bündnis Grundeinkommen, Die Grünen, Die Linke und mit Vereinen wie z.B. Attac sowie mit einzelnen Aktivist*innen zusammengeschlossen. Die wichtigsten Partner waren das Reflecta Netzwerk und mein grundeinkommen. Dieser Verein hatte damals schon über 500.000 Follower, genau unsere Zielgruppe. Das Wichtigste waren die Verteiler dieser Partner, sie haben enorm bei der Verbreitung geholfen. Weiterhin konnten wir über sie Gesprächspartner für die anschließenden Diskussionspanels finden. Und diese wiederum holten dann auch ihre Crowd in die Kinos.

4. Venue

Es war wichtig, etablierte, gut frequentierte Arthouse-Kinos für den Film zu gewinnen. Es gibt passionierte Kinobetreiber*innen, die mit viel Engagement über Jahre hinweg ein interessiertes Stammpublikum aufbauen konnten, das regelmäßig genau dorthin kommt.

Wir haben folgendes über soziale Medien verbreitet: Wenn 20 Leute in einer Stadt den Film am 1. Februar sehen wollen, finden wir dort für sie einen Vorführort. Über eine speziell dafür mit dem Verein MeinGrundeinkommen zusammen entwickelte Webseite konnten potenzielle Besucher Kinotickets vorab reservieren, ohne dass es schon einen Vorführort gab. Wir riefen daraufhin unsere Wunsch-Kinos an: „Bei Euch in der Stadt sind schon über 100 Tickets für den 1. Februar reserviert. Macht ihr mit?“ So gewannen wir die Säle, die wir wollten. Im Lauf der Zeit entstand ein Schneeballeffekt. Wir konnten irgendwann den Kinobesitzern sagen, dass z.B das Abaton in HH oder das Odeon in Köln oder die Hackeschen Höfe in Berlin auch dabei sind. Das hat viele überzeugt, auf den fahrenden Zug mitaufzuspringen. Es gab Kinos, die am Anfang abgesagt hatten und später, als sie merkten, dass das etwas „Größeres“ wird, wieder anriefen und den Film dann doch noch gebucht haben. Die über hundert Spielstätten zu bekommen, war harte Knochenarbeit: Unser Team hat jedes Kino mit Arthausprogramm in ganz Deutschland persönlich angerufen. Als wir gegen Ende merkten, dass wir es alleine nicht schaffen, haben wir externe freie Vertriebsleute dazu gebucht.

5. Öffentlichkeitsarbeit

Unsere Hauptenergie haben wir in die Social Media Arbeit gesteckt, jede Vorführung war ein Facebook-Event und wurde zudem auf anderen Plattformen angekündigt. Dank der Auswahl von „Free Lunch Society“ durch Moving Docs, wurden Artikel und ein Animationsfilm zum Thema produziert.

Wegen der Kurzfristigkeit und aus Kostengründen konnten wir keine der etablierten Presseagenturen davon überzeugen, die Pressearbeit zu übernehmen. Wir entschieden sie mit dem Team von OVALmedia zu bestreiten und teilweise an filmokratie abzugeben.  Wir haben uns gegen teure Pressevorführungen entschieden. Dafür haben wir telefoniert und Passwort-geschütze Einmal-Sichtungslinks verschickt. Die Hauptarbeit bestand darin, den Verteiler zu erstellen. Die Telefonate waren einfach, da das innovative Premierenkonzept ein Argument mehr für die Presse war, darüber zu berichten. Wir hatten zahlreiche TV-Kurzberichte, Radio, Print etc. Dann passierte das Wunderbare: Viele Journalisten kamen auf uns zu, ohne dass wir sie kontaktiert hatten. Wir haben die öffentliche Debatte zum Bedingungslosen Grundeinkommen in Deutschland erheblich ausgeweitet. Michael Bohmeyer von MeinGrundeinkommen war schließlich sogar bei Anne Will. Wir stellen uns vor, dass der Vorschlag von Arbeitsminister Heil zur „Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung“ von unserer Arbeit inspiriert ist.

Unser Fazit: Wir wollen auch in Zukunft von der ersten Filmidee an, bis hinein in den Kinosaal mit den Zuschauer*innen in engem Kontakt sein. Das Ganze ist sehr befriedigend, für beide Seiten.

 

Autor*innen

Lilian Franck und Robert Cibis sind Filmemacher*innen. Beide gründeten 1998 OVALmedia, eine Unternehmensgruppe, zu der die OVALmedia Berlin GmbH, die OVALmedia Cologne GmbH sowie die Firmen OVALmedia Paris SAS und OVALmedia Rome SRL gehören. OVALmedia agiert als Filmproduktion, Filmverleih und Dienstleistungsproduktion agiert, mit dem Ziel "packende Geschichten transmedial zu erzählen."

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