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Alternative Finanzierungs- und Verwertungsmodelle

Erfahrungsberichte: Bettina Braun, Yasmin C. Rams, Martina Priessner

Ich habe 2015 für den WDR einen 30-minütigen Dokumentarfilm über einen Romajungen aus Dortmund mit dem Titel „Nordstadtkinder-Stefan“ realisiert. Der Film entstand für eine mehrteilige Reihe über Kinder aus der Nordstadt und wurde im Dezember 2015 als Auftakt der Reihe ausgestrahlt. Nordstadtkinder-Stefan war 2016 für den Grimme-Preis nominiert und hat im selben Jahr den Medienpreis der Kindernothilfe gewonnen.

Da ich die Geschichte von Stefans Familie für sehr erzählenswert halte, habe ich entschieden, die Familie für weitere eineinhalb Jahre für einen langen künstlerischen Dokumentarfilm (90 min) mit der Kamera zu begleiten. Ich konnte für das Projekt die Dokumentarfilmredaktion des Senders ZDF/3sat gewinnen und habe eine Förderung von Filmstiftung NRW/Vereinfachte Förderung erhalten. Allerdings habe ich weniger Geld erhalten als beantragt, musste dann aber mit den Dreharbeiten beginnen, weil sonst – wie so häufig im Dokumentarfilm – die Realität meinen Film überholt hätte. Da damit der Drehbeginn aber bereits erfolgt war, schieden für dieses Projekt laut Richtlinien weitere klassische Filmförderungen aus. Weil das Budget ohnehin knapp war, habe ich versucht alternative Geldgeber zu finden, um die Finanzierungslücke zu schließen.

Ich habe mehrere karitative Institutionen wie z.B. die Soroptimistinnen, Lions Dortmund, die Kindernothilfe (die „Nordstadtkinder-Stefan“ mit dem Medienpreis ausgezeichnet hatte), den Landschaftsverband Westfalen/Lippe, eine Stiftung in Dortmund und eine in Düsseldorf, die Landeszentrale für politische Bildung (NRW), die Staatskanzlei Medien NRW und diverse städtische Dortmunder Institutionen angeschrieben. Parallel hat eine Kollegin mit Erfahrung im Fundraising auch Einzelpersonen und Institutionen angesprochen. Wir haben es insgesamt an ca. 20 Stellen versucht, mit Briefen, die auf die Empfänger zugeschnitten waren, und mit umfangreichem Material zum Film (ausführliches Treatment, Synopsis, CV/Filmo etc.). Dies ging teilweise über Kontakte, die andere Personen vermittelt hatten, teilweise war es „Kaltakquise“.

Ich habe dann irgendwann aufgegeben, (fast: eine Institution hat 3000,- gegeben) ohne Erfolg. Die Hauptargumente waren entweder (wie bei den Förderern auch), dass das Projekt schon begonnen war oder dass die Institutionen ihre Aufgabe nicht darin sahen, Filmvorhaben zu fördern. Dabei habe ich – zumindest bei einigen Stellen – durchaus das Gefühl gehabt, dass das Projekt auf sehr viel Anerkennung gestoßen ist. Auf diese Art und Weise Geld aufzutreiben frisst enorm viel Zeit; ich hatte nicht den Eindruck, dass sich unsere Bemühungen wirklich lohnen bzw. das Ergebnis in einem akzeptablen Verhältnis zum Aufwand steht.

Den Film realisiere ich trotz Unterfinanzierung. Im Finanzierungsplan habe ich dafür mein komplettes Regiegehalt und einen großen Teil meines Produzentengehalts beigestellt. Hätte ich noch Finanzierung aufgetrieben, hätte ich diese Lücke schließen können."

Bettina Braun ist freiberufliche Regisseurin (und Rucksackproduzentin), Autorin und Dozentin für Dokumentarfilm. Ihre Filme wurden u.a. mit dem Grimme Preis, dem Phoenix Dokumentarfilmpreis, dem Publikumspreis der Duisburger Filmwoche und dem Filmpreis NRW ausgezeichnet. 

 

Als wir mit der Produktion des Dokumentarfilms „Im Exil” des Myanmarischen Filmemachers Tin Win Naing anfingen, hatten wir ein ergreifendes Treatment, das vom politischen und wirtschaftlichen Umschwung in Myanmar handelte. Welchen Sender interessierte es? Keinen. Wir drehten in Thailand, mit Protagonisten aus Myanmar und Geschichten, die zwar – wie wir so gerne sagen – universell waren, doch keinen direkten Bezug auf Deutschland hatten. Wir mussten in der Finanzierung einen anderen Weg einschlagen. Ich sah unter anderem eine Chance in der Förderung durch Stiftungen wie die Heinrich Böll Stiftung, die Projekte in und mit der Beteiligung von Menschen aus sogenannten Entwicklungsländern fördert.

Generell gilt, dass Stiftungen nicht einfach nur Kultur fördern und gut ist. Stiftungen bekommen ihr Geld ebenso von Förderern, meist auf Bundesebene, und müssen diesen am Jahresende einen Bericht abliefern. In diesen Berichten wird das Erreichen der Ziele, die sich die Stiftungen gesetzt hatten, durch ausgefeilte Evaluierungssysteme erörtert. Wichtig zu wissen ist es, dass diese Evaluierungssysteme grob auf zwei ausschlaggebenden Punkten beruhen: Dem Outcome, der die direkt erreichten Ergebnisse beschreibt, und dem Impact, der die längerfristigen Ergebnisse und Auswirkungen der unterstützten Projekte beschreibt.
Wenn man Anträge an Stiftungen schreibt, ist es wichtig, dass man den Stiftungen diese Evaluierungsarbeit erleichtert und potentielle Outcomes und Impacts bereits beschreibt.

Bevor ich den Antrag schrieb, schaute ich mir also genau an, was die Ziele der einzelnen Stiftungen waren und überlegte mir, wie unser Film die jeweiligen Stiftungen in ihrem Bestreben, diese Ziele zu erreichen, unterstützen könnte. Ich ging all die Elemente durch, die der Film inhaltlich abdeckt, aber auch Produktion, Crew etc. Oft sind Hauptziele von Stiftungen Demokratieförderung, Kulturförderung der einzelnen Länder, Advocacy für Menschenrechte, Capacity Building etc.

Die Vertriebsstrategie ist beim Antrag natürlich auch sehr wichtig, wobei sich Stiftungen relativ wenig für Festivals und Preise interessieren. Entscheidend ist eher, wie der Film in bestimmte Ecken der Bevölkerung gebracht werden wird, welche vom Sehen des Films profitieren würden oder, wie er Entscheidungsträgern gezeigt werden soll. Arbeitet man z.B. mit Organisationen zusammen, die sich mit dem Thema des Films befassen? Macht man selbst eine Outreach-Kampagne? Etc.
Wichtig ist, den Film als Projekt zu sehen, das, wenn es fertiggestellt ist (und in wenigen Fällen auch während der Produktion), der Gesellschaft hilft.

Wir konnten am Ende von zwei Stiftungen ein wenig Geld bekommen. Es kamen etwa 11.000 EUR von der Heinrich Böll Stiftung und weitere 2.500 EUR von den Freundinnen und Freunden der Heinrich Böll Stiftung. Beantragt hatten wir ca. 20.000 EUR bei der Heinrich Böll Stiftung. Bei Stiftungen gibt es meist keine Höchstsumme, die man beantragen kann. Jedoch muss das Projekt schon wirklich einwandfrei in die Agenda der Stiftung passen, wenn man eine höhere fünfstellige Summe beantragen möchte. Den Rest des Budgets haben wir dann durch Film Funds für Filmschaffende aus sog. Entwicklungsländern, Crowdfunding, Eigenkapital und großen Rückstellungen finanziert.

Auch wenn es bei diesem Projekt nicht geklappt hat, ein substantielles Budget von Stiftungen zu bekommen, was am Thema und am Timing gelegen haben mag, werde ich jedoch auch beim nächsten Projekt, das sich dafür eignet, Stiftungen anschreiben. Oft hilft jeder Euro einem Projekt weiter. Zudem ist das Schöne an der Stiftungsförderung, dass Stiftungen keine Ansprüche auf Rechte erheben, anders als Förderer, die direkt aus unserem Business stammen. Stiftungen wollen den Film meist selbst einmal vorführen, was ich als positiv empfinde, da der Film dadurch etwas mehr an Sichtbarkeit gewinnen kann. Die Heinrich Böll Stiftung beispielsweise wird eine Vorführung unseres Films nach dessen Festival-Lauf organisieren. Wir erreichen so – fast ohne eigenen Aufwand oder Kosten – ein Publikum, das sich für die Themen der Stiftung und somit auch für das Thema unseres Films stark interessiert und ihn dadurch womöglich noch weiter in ihre Netzwerke (z.B. Universitäten) empfiehlt.

Ich empfinde die Arbeit mit Stiftungen und Organisationen im Endeffekt nur wenig einfacher wie die Zusammenarbeit mit Sendern und Förderung, doch ist es oft von Vorteil, dass mir als Produzentin sowie dem Regisseur viel Spielraum in Sachen Regie und Auswertung gelassen wird."

Yasmin C. Rams ist Produzentin und Regisseurin von Dokumentar- und Spielfilmen. 2011 gründete sie ihre Produktionsfirma Lokanat Productions, welche sich 2016 in Perennial Lens umbenannte und den britischen Filmemacher Rodney Charles als zweiten Geschäftsführer ins Boot holte. Perennial Lens produziert fiktionale und non-fiktionale Stoffe, die international relevant und sozio-politisch progressiv sind. Der Kino-Dokumentarfilm In Exile von Tin Win Naing feierte 2016 seine Weltpremiere beim Toronto International Film Festival.

 

Von September 2015 bis August 2016 war ich IPC-Mercator Fellow in Istanbul und habe im Rahmen dieses Stipendiums den Dokumentarfilm 650 Wörter realisiert. Der Film portraitiert acht Menschen aus verschiedenen Regionen der Türkei, die darauf warten nach Deutschland kommen zu können. Doch für das Visum ist ein Vokabular von 650 deutschen Wörtern erforderlich. Im Film sprechen sie über ihr Leben und wie sie ihre Partner kennengelernt haben, erträumen sich eine Zukunft in Deutschland – an der Seite ihrer Familien. Über Anekdoten, Utopien und Geschichten von Verlust werden Schicksale deutlich, die auch von der komplizierten Beziehung zweier Länder erzählen.

Das Mercator IPC-Fellowship-Programm gibt es seit Januar 2012 und ist eine Initiative der Sabanci Universität und der Stiftung Mercator. Das Stipendium fokussiert auf zwei Themenschwerpunkte: EU/Deutschland-Türkei Beziehungen und Klimawandel. Ich habe mich konkret mit diesem Filmprojekt für das Stipendium beworben. Am Ende des Stipendiums muss es ein fertiges Produkt geben. Das Stipendium kann also nicht als reines Recherchestipendium für einen langen Film genutzt werden. Das Stipendium richtet sich grundsätzlich eher an akademische Kreise, aber es besteht dennoch die Möglichkeit, sich mit einem praktischen (filmischen/journalistischen) Projekt zu bewerben. Das Stipendium ist an einen Aufenthalt in Istanbul geknüpft.

Da ich gerne interdisziplinär arbeite und neben dem Filmemachen auch schreibe und kuratiere, waren die Arbeitsbedingungen für mich optimal. Film als soziologische Methode analog zum „ethnografischen Schreiben“ zu verstehen, finde ich eine naheliegende Sichtweise. Beim Dokumentarfilm ist man ja immer auch teilnehmende Beobachterin. Es ist sicher von Vorteil, wenn man den akademischen Betrieb kennt und sich vorstellen kann, ein Filmkonzept um einen wissenschaftlichen Ansatz zu erweitern. Dies bezieht sich allerdings nur auf den Antrag selbst. Während des Stipendiums gibt es regelmäßig Sitzungen und Treffen, an denen sowohl die Leitung, wissenschaftliche MitarbeiterInnen und die anderen StipendiatInnen teilnehmen. Die regelmäßigen Treffen stellen sicher, dass man eingebunden bleibt und die anderen StipendiatInnen und ihre Projekte im Laufe der Zeit kennenlernt. Ein wunderbarer Ort, um neue Menschen kennenzulernen und sich breit zu vernetzen. Wenn auch sicher eher in die akademische Welt hinein als in die Filmbranche.

Das IPC-Office, angesiedelt im europäischen Herzen von Istanbul in Karaköy, stellt allen StipendiatInnen einen Arbeitsplatz zur Verfügung. Auch das ist nur ein Angebot und keine Pflicht. Wer will kann auch zu Hause arbeiten. Das Stipendium ist mit 2.700 EUR pro Monat plus zusätzlich einem einmaligen Betrag für Reisekosten von 2.500 EUR großzügig ausgestattet und kann für sechs bis zwölf Monate beantragt werden. Man hat zusätzlich Anspruch auf Projektgelder, die in begrenztem Maße individuell verhandelbar sind. Die Projektkosten meines Filmes beliefen sich auf knapp 10.000 EUR und das war die absolute Obergrenze, zumindest zu diesem Zeitpunkt. Hier muss man sich schon sehr gut überlegen, was machbar ist. Drittgelder einzuwerben ist nicht einfach in der kurzen Zeit und dem Druck, das Projekt in einem Jahr fertig stellen zu müssen. Hinzu kommt dass Anträge bei anderen Stiftungen kaum möglich sind, weil sich das nicht mit Mercator verträgt. Ich habe mir ein Team vor Ort zusammengestellt, was vieles vereinfacht hat. Die Tatsache, dass ich Türkisch spreche, war sicher auch von Vorteil, ist aber keine Voraussetzung. Am Institut läuft alles in Englisch, auch der Antrag selbst muss in Englisch gestellt werden.

Der Antrag ist nicht unaufwendig, aber machbar. Wichtig sind zwei Referenzschreiben, die verlangt werden. Im Rahmen des Stipendiums bietet IPC auch Möglichkeiten über sein Thema zu schreiben und zu veröffentlichen. Ich hätte mir gewünscht, diese Möglichkeit intensiver nutzen zu können, aber aus Zeitgründen war das nicht möglich.

Ich kann allen, die ein Projekt oder ein deutsch-türkisches Thema im Kopf haben und sich vorstellen können, es auch wissenschaftlich einzubetten, nur empfehlen sich zu bewerben. Das IPC-Team hält Ausschau nach interessanten Projekten und Fragestellungen und ist auch journalistischen Arbeitsweisen gegenüber sehr offen. 

Das Interesse von IPC-Mercator ist es, die Endprodukte den LeserInnen und, in meinem Fall, den ZuschauerInnen so einfach wie möglich zugänglich zu machen und so breit wie möglich zu streuen. Nach einer gewissen Zeit (die wir offen gelassen hatten) soll der Film frei zugänglich im Internet zur Verfügung stehen. Die Rechte des Films liegen bei mir. Für Öffentlichkeitsarbeit hatte ich am Ende natürlich kein Budget mehr und habe das selbst organisiert. Bei Vorführungen inkl. Diskussionen kann je nach Budget der VeranstalterInnen Reisekosten und Honorar verhandeln. Zusätzlich zum Endprodukt muss ein Abschlussbericht von ca. zehn Seiten geschrieben werden. Rückblickend kann ich sagen, dass es für mich eine tolle Erfahrung war, diesen Film in diesen Strukturen zu machen. Natürlich musste ich auch Kompromisse schließen, aber für dieses Filmprojekt war es ein guter Rahmen und ich wurde von Cigdem Tongal, Gülcihan Cigdem und Daniel Grutjen zu jeder Zeit rundherum gut betreut."

aktuelle Infos zum IPC-Mercator Stipendium: hier

Martina Priessner ist Dokumentarfilmemacherin. Sie lebt in Berlin und Istanbul und arbeitet seit vielen Jahren zur deutsch-türkischen Migration. 2010 realisierte sie den Dokumentarfilm Wir sitzen im Süden, der für den Grimme-Preis nominiert wurde. 2013 entstand der Found-Footage-Film Everyday I’m çapuling über die Gezi-Park-Proteste in Istanbul. Sie hat Stipendien von Nipkow, DEFA und der Kulturakademie Tarabya erhalten.

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